Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
alles gebacken«, rief Kaeddong und klatschte in die fleischigen Hände. »Ich werde dich begleiten, älterer Freund.«
David stutzte. »Du? Ich fürchte, das kann ich mir wirklich nicht leisten.«
»Weißt du eigentlich, wie sehr es mich kränkt, wenn du ständig auf meine gewinnorientierte Seite anspielst?«
»Du meinst, deine Geldgier?«
Der Schwarzhändler gab sich beleidigt.
David wusste ebenso gut wie die beiden Koreaner, dass er hier ohne einen einheimischen Begleiter hilflos wie ein Neugeborenes war. Abgesehen von seinem europäischen Aussehen machten es ihm seine dürftigen Sprachkenntnisse so gut wie unmöglich, sich unauffällig durch ein Land zu bewegen, in dem jeder Fremde Misstrauen erregte. Einen Führer, der wie Kaeddong mit allen Wassern gewaschen war, konnte er gut gebrauchen.
Also holte David einmal tief Luft und sagte beschwichtigend: »Ich wollte dich nicht verletzen, jüngerer Freund. Dein Vorschlag ist beachtenswert. Aber bitte lasst uns zuerst den Wohnort des richtigen An Chung-gun herausfinden. Dann entscheide ich, wie wir an ihn herankommen und die Wahrheit aus ihm herausquetschen.«
»Quetschen ist gut!«, freute sich Kaeddong und rieb sich die Pranken.
Der Professor bekam das Einreisevisum für die Demokratische Volksrepublik Korea in der Rekordzeit von drei Wochen. Bis zu seiner Abreise hatten sie gemeinsam an Davids Fahndungsraster gearbeitet. Dazu mussten sie den widerspenstigen Papierstapel des Historikers Seite für Seite und Schnipsel für Schnipsel erneut durchforsten. Diesmal achteten sie nicht auf die Hauptperson, den Gesuchten An Chung-gun, sondern konzentrierten sich auf die Angehörigen. Oft fehlten genaue Angaben zu deren Wohnorten. In einem solchen Fall wurde Kaeddong tätig. Er unterhielt anscheinend »Geschäftsverbindungen« in jedem Teil Südkoreas. Davids Tabelle füllte sich immer mehr.
Als Soo-wan am 17. April nach P’yöng-yang abreiste, nahm er eine Kopie der noch unfertigen Tabelle mit. In der Hauptstadt Nordkoreas wollte er versuchen die Spalten des Rasters zu füllen. Als Reisezweck waren auf seinem Visum »historische Studien« vermerkt, was es ihm erlaubte, nicht nur wenige Tage, sondern notfalls ganze drei Monate in der DVK zu bleiben. Sollte er eine wichtige Entdeckung machen, würde er David umgehend ein verschlüsseltes Telegramm schicken.
Während Kaeddong mit der Suche nach Familien namens An im Allgemeinen und nach Ung-doo im Besonderen beschäftigt war, kümmerte sich David um die Koordination der ganzen Operation. Dazu gehörten auch gelegentliche Besuche eines Cafés in Seouls Innenstadt, das sich fest in der Hand amerikanischer Militärangehöriger befand. Unter ihnen war er als Japan-Experte Phil Claymore bekannt, und wenn er einmal ein neues Gesicht entdeckte, konnte er sich sogar mit einem amtlichen Dokument als UN-Mitarbeiter ausweisen.
So auch an jenem Nachmittag, als er Norbert Matz begegnete.
Der Oberfeldwebel kümmerte sich um den Fuhrpark der Militärberater. Da ein modernes Fortbewegungsmittel für Davids Recherchen wichtig, aber in dem ruinierten Land praktisch nicht zu bekommen war, setzte er sogleich seine »Wahrheitstropfen« ein. Matz sprach erfreulich gut auf sie an.
Am 8. Juni reisten David und Kaeddong mit einem vorbildlich gewarteten Militärmotorrad von Seoul aus in Richtung Küste. Tags zuvor war in 143 Key Dong ein Bote eingetroffen und hatte eine kurze Nachricht in koreanischer Schrift von einem der »Geschäftsfreunde« des Schwarzhändlers überbracht. Auf dem Zettel standen nur ein Name und eine Adresse.
»Wir haben ihn«, triumphierte Kaeddong.
»Wen?«, fragte David.
»Ung-doo, den Erstgeborenen unseres aussichtsreichsten Kandidaten.«
Die Hafenstadt Inch’on war Seouls Tor zur Welt. Eine Eisenbahnlinie, so alt wie David selbst, verband sie mit der Hauptstadt. Jenseits der östlichen Stadtgrenze, unweit der Bahntrasse, befand sich eine ärmliche Hüttensiedlung. Die Häuser standen auf Niemandsland. Daher besaßen sie auch keine offizielle Postanschrift. Und deshalb hatte das Aufspüren Ung-doos durch Kaeddongs »Geschäftsfreund« auch so viel Zeit gekostet.
Die Harley Davidson der US-Armee rollte mit blubberndem Motor auf ein Gebäude am Rande der chaotisch anmutenden Siedlung zu. Es war größer und auch in besserem Zustand als die umliegenden Hütten. Offenbar verfügte Chung-guns Lieblingssohn über eine Geldquelle, die seine Nachbarn nicht hatten. Seltsam nur, dass Ung-doo noch in dem
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