Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
»Ich kriege das für dich raus, älterer Freund. Am Hafen von Inch’on wohnt ein Geschäftspartner von mir. Er schuldet mir noch einen Gefallen. Und wo der Rest von Chung-guns Kinderschar lebt, dürften wir auch bald wissen.«
»Was wird mich das kosten?«
Kaeddong grinste. »In meiner Agentur gehört das zum Dienst am Kunden.«
»Eines ist mir noch nicht klar«, meldete sich wieder Soo-wan zu Wort. »Wie willst du weiter vorgehen, etwa An Chung-guns komplette Familie beschatten? Das könnte eine ziemlich aufwändige Operation werden.«
David schüttelte den Kopf »Nein. Sie sollen nur die Zeilen meines Rasters füllen.«
»Wie bitte?«
»Ehe ich euch meinen Plan erkläre, noch eine Frage, Soo-wan: Kannst du irgendwie herausfinden, welche An Chung-guns in… sagen wir, in den letzten anderthalb Jahren nach Südkorea gereist sind oder von dort Besuch bekommen haben?«
Der Professor setzte sich wieder die Brille auf. »Ältere Aktenvermerkte gibt es ohnehin nicht, die Demokratische Volksrepublik Korea ist ja erst am 10. September 1948 gegründet worden. Aber für die Zeit danach kann ich dir Hoffnungen machen, jüngerer Freund. Ich hatte in P’yöng-yang zwei Jahre lang den Lehrstuhl für Altkoreanische Geschichte inne und war mit dem Dekan der Fakultät gut befreundet. Im Grunde ist Chae-P’il ein Opportunist: Er hat es tunlichst vermieden, bei den Japanern in Ungnade zu fallen, aber sie gleichzeitig verwünscht, wann immer er sich unbelauscht fühlte. Heute biedert er sich bei den Kommunisten an. Ich werde ihn überreden, mir Einblick in die von dir gewünschten Behördenvermerke zu verschaffen.«
»Das klingt nicht gerade nach einem zuverlässigen Verbündeten. Hat er als Historiker denn Zugang zu amtlichen Aufzeichnungen?«
»Viel besser: Nach dem Krieg ist er ins Innenministerium gewechselt, auf einen guten Posten. Er trägt die Verantwortung für die Kontrolle des gesamten Reiseverkehrs sowohl in die DVK als auch wieder hinaus, zum Beispiel in die Länder des Klassenfeindes. Letzteres kommt allerdings eher selten vor. Wie ich Chae-P’il kenne, drückt er jedoch für etwas Geld hin und wieder beide Augen zu.«
David stieß ein anerkennendes Pfeifen aus. »Das ist allerdings eine Quelle, aus der wir schöpfen sollten, auch wenn sie nicht ganz sauber ist.«
Soo-wan machte eine wegwerfende Geste. »Sei unbesorgt, jüngerer Freund. Um es mit den Worten Kaeddongs zu sagen: Chae-P’il ist mir noch eine Gefälligkeit schuldig. Ohne mich wäre er ziemlich sicher auf Nimmerwiedersehen in einem japanischen Lager verschwunden. Aber angenommen, Chae-P’il kann mir geben, wonach du verlangst – wie geht es dann weiter?«
»Jetzt kommt mein Raster ins Spiel«, antwortete David. »Wir legen uns eine große Tabelle an: Über die Spalten schreiben wir die Adressen aller nordkoreanischen An Chung-guns, die seit der Gründung der Demokratischen Volksrepublik am grenzüberschreitenden Reiseverkehr teilgenommen haben. Vor die Zeilen des Rasters setzen wir alle Angehörigen im Süden, deren Wohnorte wir mithilfe deines Dossiers ausfindig machen können. Hierdurch erhalten wir im Schnittpunkt jedes Namenpaars ein Kästchen. Da, wo sich Besuchte – David malte mit dem Zeigefinger senkrechte Linien auf den Tisch – und Besucher – nun zeichnete er waagerechte Striche – kreuzen, gibt es eine direkte Verbindung. Im günstigsten Fall kann uns dein Freund Chae-P’il die Adresse desjenigen An Chung-gun nennen, der eines der acht Kinder des Mannes auf unserem Foto besucht hat.«
»Und dann haben wir das große Los gezogen«, knurrte der Schwarzhändler.
David merkte auf. »Wir?«
»Ja, willst du einen der durchtriebensten Männer Cho sons etwa mit diesem blinden Maulwurf da fangen?« Kaeddong deutete auf seinen Freund, den Professor.
Betretenes Schweigen füllte die schwülwarme Hütte.
David hatte tatsächlich schon überlegt, wie er Soo-wan in Seoul zurücklassen konnte, ohne ihn tödlich zu beleidigen. Nach einer Weile sagte er vorsichtig: »In einem Punkt hat Kaeddong Recht. Wenn ich ohne Visum nach Nordkorea reise, bedeutet das eine Gefahr für jeden, der mich begleitet. Du hast in deinem Leben schon genug gelitten, Soo-wan. Ich möchte nicht, dass sich deine schlimmen Erlebnisse wiederholen.«
Zu Davids Erstaunen nickte der Professor traurig und erwiderte: »Niemand kann ermessen, was ich damals wirklich durchgemacht habe. Ich glaube, ein zweites Mal könnte ich Derartiges nicht ertragen.«
»Dann ist ja
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