Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Freude hätte er dem Schwarzhändler bereiten können.
Müde ließ sich David auf sein Lager fallen, eine leidlich bequeme Matratze am Boden. Aus dem Radio erklangen die Melodien eines Mannes, dessen Flugzeug im vorletzten Kriegsjahr irgendwo zwischen England und Frankreich abgestürzt war. Glenn Miller erfreute sich in den Radiostationen der Army immer noch großer Beliebtheit. Um neun – noch war die Sonne nicht untergegangen – wurde der G. M. Sound ausgeblendet und die Stimme des Nachrichtensprechers verschaffte sich Gehör.
Die Hauptmeldung ließ David aufmerken. Die Tageszeitungen Nordkoreas hätten am Morgen in großer Aufmachung berichtet, die Nationalversammlung werde zum Jahrestag von Japans Kapitulation am 15. August in Seoul einberufen, um die Wiedervereinigung Koreas zu beschließen. Das erschien insofern unglaubhaft, weil die Quelle, auf die verwiesen wurde, ein Staatsorgan Nordkoreas war, Seoul aber die Hauptstadt des südlichen Konkurrenzstaates. Ebenso gut hätten die Zeitungen vermelden können, die Führung der Deutschen Demokratischen Republik verspüre Lust nach einer Sitzung im Bonner Bundestag.
Anfang der fünfziger Jahre waren amerikanische Nachrichtensprecher nicht gerade für nennenswerte Gefühlsausbrüche bekannt. Dennoch glaubte David einen höhnischen Unterton aus der Verlautbarung herauszuhören. Wie sollte das gehen, ein Betriebsausflug von fast siebenhundert Abgeordneten in die Hauptstadt des ungeliebten Nachbarn zu schicken? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Bereits in den nächsten Tagen berichtete der Militärrundfunk immer wieder von kleineren Scharmützeln entlang der Demarkationslinie am achtunddreißigsten Breitengrad. Kaum jemand schenkte dem jedoch größere Beachtung. David allerdings machte sich zunehmend Sorgen. Soo-wan schien wie vom Erdboden verschluckt. Seit seiner Abreise im April hatte er sich kein einziges Mal gemeldet.
David kaufte von nun an jeden Tag zwei englischsprachige Zeitungen und hörte nicht weniger als dreimal täglich die aktuellen Rundfunkmeldungen. Die politische Lage spitzte sich immer weiter zu.
Am 23. Juni kehrte Choi Soo-wan endlich aus dem Norden zurück. Als er am Abend die Wohnung in 143 Key Dong betrat, wirkte er fahrig. Seine Augen sprangen hinter den dicken Brillengläsern nervös hin und her, als suchten sie in dem kahlen Zimmerchen nach Spionen. Unübersehbar zitterten seine Hände, als er in die abgewetzte Aktentasche griff und einige Papiere hervorzog, darunter Davids Tabelle. Von Soo-wans plötzlicher Rückkehr überrascht, achtete David zuerst kaum auf dessen desolaten Zustand.
Er habe eine gute und eine denkbar schlechte Nachricht mitgebracht, leitete Soo-wan seinen Bericht ein. David wählte zunächst die gute, wie die andere lautete, konnte er sich schon denken.
»Wir verfügen jetzt über eine Liste von knapp zwei Dutzend An Chung-guns, die seit September 1948 den Süden besucht oder von dort Gäste empfangen haben. Ein Name ist besonders viel versprechend. Er gehört einem hohen Parteifunktionär, der mehrmals nach Inch’on reiste. Ich habe ihn erst heute früh von Chae-P’il bekommen, deswegen konnte ich dir auch nicht von P’yöng-yang aus telegrafieren.«
»Nach Inch’on?« Davids Herz machte einen Sprung. »Das muss der Mann sein, den wir suchen. Heißt sein Gastgeber vielleicht zufällig An Ung-doo und ist Chung-guns ältester Sohn?«
»Als ich den Namen las, ging es mir genauso wie dir«, bestätigte der Professor nickend.
»Wo genau hält sich An Chung-gun versteckt?«
»Er besitzt große Waldungen hoch im Norden, direkt vor der chinesischen Grenze. Laut Chae-P’il wohnt er in Yongamp’o, einem kleinen Ort südlich von Sinüiju.«
David schloss betroffen die Augen. »Ist das etwa die schlechte Nachricht? Ich hatte An Chung-gun irgendwo kurz hinter der Demarkationslinie vermutet. Und nun das! Wie soll ich in diesen unruhigen Zeiten unbehelligt quer über die Koreanische Bucht kommen?«
»Das halte ich allerdings auch für so gut wie unmöglich. Leider muss ich dir aber noch etwas anderes mitteilen, das die Operation An Chung-gun wohl endgültig vereiteln wird: Ich konnte nur dank Chae-P’ils unerwartet mutiger Intervention nach Seoul zurückkehren. Die letzte Woche habe ich unter Spionageverdacht im Gefängnis zugebracht…«
»Was?«, fuhr David entsetzt hoch. »Sie haben dich doch nicht…?«
»Geschlagen?« Soo-wan schüttelte traurig den Kopf. »Für einen nordkoreanischen Kerker war
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