Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
die Behandlung, glaube ich, beinahe zuvorkommend. Allerdings ließ man mich jede Minute spüren, dass sich meine Lage auch schnell verschlechtern könnte.«
»Das muss furchtbar gewesen sein.«
Soo-wan versuchte die Sache mit einer Handbewegung abzutun, aber David ließ sich nicht täuschen, der schmächtige Professor sah arg mitgenommen aus. »Wie bist du wieder freigekommen, älterer Freund?«
»Das habe ich Chae-P’il zu verdanken. Er hat all seine Beziehungen spielen lassen, um mich als Persona non grata in den Süden ›abschieben‹ zu können, wie es im offiziellen Parteijargon heißt. Sollte man mich je wieder in der DVK aufgreifen, droht mir die Exekution. Heute früh hat er mich auf dem Bahnhof von P’yöng-yang verabschiedet und mir heimlich einen Brief zugesteckt. Darin stand An Chung-guns Legende. Der Einfluss dieses Mannes muss sehr groß sein, seine Reiseanträge tauchen in keiner offiziellen Akte auf. Als verantwortlicher Beamter wusste Chae-P’il aber davon und hatte sich, wie es seine Art ist, einige persönliche Notizen angefertigt. Wäre ich nicht ins Gefängnis gekommen, hätte er sie mir vielleicht nie gezeigt. Aber so muss ihn wohl sein schlechtes Gewissen getrieben haben. Zum Abschied sagte er mir, jetzt seien wir quitt.«
»Und wenn die ganze Aktion ein abgekartetes Spiel ist, um dich loszuwerden? Nach allem, was du mir über diesen Chae-P’il berichtet hast, traue ich ihm auch das zu.«
Soo-wan schüttelte den Kopf. Aus seinen Augen blickte David tiefes Entsetzen an, »Nein, jüngerer Freund, Der Grund für diese unhaltbaren Spionagevorwürfe ist ebenso einfach wie schrecklich: Es wird Krieg geben.«
»Offen gestanden überrascht mich das nicht. Wie viel Zeit bleibt uns noch?«
Soo-wan wirkte konsterniert, wohl weil die schreckliche Nachricht David nicht zu beeindrucken schien. Endlich zuckte er die Achseln. »Das konnte oder wollte selbst Chae-P’il mir nicht sagen. Aber er wurde von einem Tag auf den anderen zur Organisation von Zivilschutzmaßnahmen abberufen. Du kannst dir vorstellen, was das bedeutet.«
David starrte mit glasigen Augen vor sich hin. Der Professor schien nur mehr Luft zu sein. »Am 15. August soll die Oberste Volksversammlung hier in Seoul die Wiedervereinigung Koreas beschließen. Ich schätze, uns bleibt höchstens noch ein Monat. Das könnte reichen, um An Chung-gun aufzuspüren und ihm ein paar sehr direkte Fragen zu stellen.«
Am Ufer des Krieges
Der heiße Sommermonsun entlud seine feuchte Fracht über der Stadt. Alles sah grau und trostlos aus. Kaeddong war noch am gleichen Abend in Richtung Inch’on abgereist. Er hatte lose Vereinbarungen mit zwei »Fischern« getroffen, die bereit waren, David mit dem Schiff nach Norden zu bringen. Einer der Seeleute lebte in Kansong, am östlichen Ende der Grenzzone zwischen Nord- und Südkorea, und der andere ganz im Westen. Diesen suchte Kaeddong nun auf, versehen mit einer erweiterten Vollmacht Davids, was die Preisverhandlungen betraf. Das Limit lag bei eintausend Dollar. David hoffte inständig, dass Ruben Rubinstein in New York mittlerweile ein paar Mieter für die Gelbe Festung gefunden hatte.
Am Samstag, dem 24. Juni, kehrte Kaeddong aus Inch’on zurück und überbrachte gute Nachrichten. Einer der Fischer sei bereit, zwei Passagiere für insgesamt achthundert Dollar nach Yongamp’o zu bringen. Allerdings müssten sie sich noch bis zum kommenden Mittwoch gedulden und, wenn das Wetter sich nicht beruhigte, auch noch einige Tage länger.
Zähneknirschend musste sich David mit dieser weiteren Verzögerung abfinden. Gegen den Monsun war er machtlos. Immerhin hatte Kaeddong ihn nicht enttäuscht, ja, nicht einmal den Verhandlungsspielraum voll ausgeschöpft. Auf seine Vermittlungsprovision wolle er auch verzichten, wiederholte er unentwegt – ein Opfer, das ihm nicht ganz leicht zu fallen schien. Vielleicht war der Schwarzhändler doch kein so durchtriebener Kerl.
Am Sonntag, dem 25. Juni 1950, überraschte das Radio seinen Stammhörer Phil Claymore mit einer niederschmetternden Nachricht: Gegen vier Uhr morgens waren nordkoreanische Truppen auf breiter Front über den achtunddreißigsten Breitengrad nach Süden durchgebrochen. Der Koreakrieg hatte begonnen.
Noch am Vormittag desselben Tages fand eine Krisensitzung in Kaeddongs Haus statt.
»Du musst die Stadt verlassen«, sagte David an die Adresse Soo-wans gewandt.
Der Professor blickte ihn ungläubig an. »Was heißt hier, ich muss
Weitere Kostenlose Bücher