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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gehen? Die Grenze ist nur fünfzig Kilometer entfernt. Was glaubst du denn, wie lange die Kommunisten bis Seoul brauchen werden? Willst du etwa hier bleiben und sie willkommen heißen?«
    »Vielleicht kann die republikanische Armee sie ja zurückschlagen«, erwiderte David schwach. Seine Pläne zielten längst in eine ganz andere Richtung und er wusste, wie wenig überzeugend seine Worte klangen.
    Prompt – und mit unüberhörbarem Zorn in der Stimme – entgegnete Soo-wan: »Du bist ein Narr, wenn du das glaubst. Der Süden Chosons verfügt über knapp einhunderttausend Soldaten, allerdings nur mit Pistolen bewaffnet. Von Chae-P’il weiß ich, dass der Norden mindestens das Doppelte dagegensetzen kann und anscheinend auch noch eine Panzerbrigade hat. Du musst mit mir fliehen, jüngerer Freund! Wir werden ein Flugzeug nehmen, und wenn wir keinen Platz mehr bekommen, dann setzen wir uns nach Süden ab.«
    Kaeddong wirkte unentschlossen. Er teilte zwar Soo-wans Einschätzung der Lage, schien aber zunächst Davids Gedanken erfahren zu wollen.
    Und der sagte zum Entsetzen des Professors: »Ich kann nicht mehr zurück. Der Kreis der Dämmerung ist wie eine Ankerkette, kaum zu zersprengen. Wenn ich mit An Chung-gun jetzt endlich ein schwaches Glied gefunden habe, dann darf ich mir diese Chance einfach nicht entgehen lassen. Der Kampf gegen Belial ist meine Bestimmung. Ich kann mich ihr nicht entziehen.«
    »Tot wirst du gar nichts erreichen.« Soo-wan gab sich noch nicht geschlagen.
    »Ich bin in Frankreich durch Kugel- und Granatenhagel marschiert und kein Geschoss wollte mich auch nur ankratzen. Die Gefahr fürchte ich nicht. Aber die Möglichkeit, dass Belial seinen Jahrhundertplan verwirklichen könnte, das macht mir wirklich Angst. Nein, Soo-wan, ich weiß, du meinst es gut mit mir, aber je eher wir diese Auseinandersetzung beenden, desto früher können wir überlegen, wie ich die jetzige Situation für mich nutzen kann.«
    Soo-wans hinter der Brille grotesk verkleinerte Augen blickten David fassungslos an. »Das klingt ja fast, als hättest du schon einen Plan.«
    »Ich kann mir denken, was ihm durch den Sinn geht, älterer Freund.« Kaeddong klang nachdenklich. Und irgendwie belustigt. Sich an David wendend sagte er: »Mich hast du bei jeder Gelegenheit als ausgekochtes Schlitzohr hingestellt, aber in Wirklichkeit bist du der Gerissenere von uns beiden. Du willst abwarten, bis die nordkoreanischen Truppen wie eine Meereswoge über dich hinweggeschwappt sind und dich dann nach Norden absetzen, stimmt’s?«
    »Zugegeben, mit dem Gedanken habe ich gespielt.«
    »Du könntest in den Wellen untergehen.«
    »Das Risiko gehe ich ein. Ich brauche nur jemanden mit einem sicheren Versteck in der Stadt. Du kannst mir da nicht zufällig helfen, jüngerer Freund?«
    Die Frage gefiel Kaeddong. Er grinste. »Wenn stimmt, was du eben über die Kugeln und Granaten in Frankreich gesagt hast, bin ich dabei. Unter einer Bedingung allerdings…«
    »Welche?«
    »Du weichst nicht von meiner Seite, bis die ganze Sache vorüber ist.«
    David holte tief Luft. Auf dem Schlachtfeld hat das meinen Kameraden auch nicht viel genützt. »Sogar ich bin nicht unverwundbar, Kaeddong. Du musst selbst wissen, ob du dieses Risiko für mich eingehen willst.«
    »Also gut. Dann sage ich: Ja!«
    Gegen besseres Wissen nahm David das Angebot des Schwarzhändlers an, der sich längst als »Bruder« in sein Vertrauen geschlichen hatte. Kaeddong mochte äußerlich Ecken und Kanten aufweisen, aber sein Kern war makellos.
     
     
    »Wir müssen uns tief eingraben«, hatte Kaeddong gesagt. Die Taktik war David nicht fremd. Anders als an der Somme oder in Flandern würde es aber in Seoul nicht genügen, einfach einen Schützengraben auszuheben. Am Morgen des 27. Juni hatte der Schwarzhändler einen sicheren Schlupfwinkel gefunden. Unter der Aula der Chae-Dong-Grundschule gab es – was kaum einer wusste – einen Keller und der verfügte – was noch weit weniger bekannt war – über einen geheimen Zugang zur Kanalisation. Dort unten, in der stinkenden Unterwelt Seouls, gab es eine Art Bauhütte, die früher von Kanalarbeitern benutzt worden, aber nun schon seit langem verlassen war.
    Ein Geschäftspartner Kaeddongs lagerte dort Waren, die nicht sofort auf den Schwarzmarkt geworfen werden konnten – angeblich aus Gründen der Preisstabilität, aber wohl eher, wie David vermutete, um sie der allzu großen Neugier der Behörden zu entziehen.
    An diesem

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