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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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guter Mensch gewesen sein, vielleicht sogar ebenso durchtrieben wie sein Vater, aber: »Wie in aller Welt kann man einen Krieg befehlen und Derartiges in Kauf nehmen?« Seine Frage blieb unbeantwortet, denn Kaeddong war nicht nach Sprechen zumute.
    Plötzlich drang ein leises Wimmern an ihre Ohren.
    »Was ist das?«, fragte Kaeddong. »Ein Tier?«
    Vorsichtig stapfte David zwischen gesplitterten Holzlatten und zerbrochenem Geschirr herum, aber nirgendwo war ein Lebenszeichen zu entdecken. Da – wieder das Jammern, diesmal lauter als zuvor.
    »Es kommt von draußen.« Schon war er auf der Straße.
    Kaeddong hinter ihm protestierte. Es sei höchste Zeit, von hier zu verschwinden. Wenn die Roten eine Nachhut durch die Siedlung schickten, werde Davids Neugier schlimm enden. Außerdem: Ein Tier sei dieses Risiko nicht wert.
    David achtete nicht auf seinen zeternden Freund. Er ging weiter dem Geräusch nach. Die Laute kamen aus dem benachbarten Trümmerhaufen. Er lief schnell über den staubigen Platz, auf dem vor einiger Zeit das hübsche Mädchen mit dem schmuddeligen Nachbarskind gespielt hatte, und kämpfte sich wieder durch schwarz verkohlte Balken. Nun hörte er das Wimmern deutlicher.
    Bald erreichte auch Kaeddong den Ort der Zerstörung. Ohne viel Begeisterung griff er nach einem langen Brett. Nach und nach räumten die beiden Männer einen Berg von Bruchholz zur Seite. Dabei machten sie einen weiteren schrecklichen Fund: drei verkohlte Leichen, zwei Erwachsene und ein Kind.
    Einen Moment lang hielten die Gefährten inne. Beide kannten den Krieg, aber an seinen Anblick würden sie sich nie gewöhnen können. Da vernahmen sie wieder das Klagen.
    »Ist bestimmt nur ein Hund. Lass uns hier verschwinden«, sagte Kaeddong.
    David hörte nicht auf ihn. Er zerrte an einem großen Wellblechteil, das er dann erst mithilfe des Schwarzhändlers vom Fleck bewegen konnte. Darunter lag ein riesiger Holzbottich umgestülpt auf der Erde. Seine Oberseite war vom Feuer dunkelbraun, an einigen Stellen sogar schwarz, aber als David den Behälter umdrehte, erwies sich die Innenseite noch feucht von dem Wasser, das sich vorher darin befunden haben musste. Und die Überraschung: Unter dem Zuber kauerte ein nacktes schlammverschmiertes Kind.
    Das Mädchen hockte in einem kleinen Erdloch, das früher vielleicht zur Aufbewahrung von Vorräten gedient hatte. Knöcheltief stand noch das Wasser darin. Vater oder Mutter mussten den vollen Waschzuber über das Kind gestülpt haben, um es vor den Flammen zu retten. David glaubte die Kleine zu erkennen. Es handelte sich um die Spielkameradin von Chung-guns Enkelin. Sie war unglaublich dürr, ungefähr acht, höchstens zehn Jahre alt. Als das Mädchen die beiden Männer sah, fing es zu weinen an.
    Kaeddong stöhnte. Seine Gedanken waren ihm förmlich ins Gesicht geschrieben: So ein Kind ist nur ein Klotz am Bein!
    David streckte die Arme nach dem Mädchen aus und sagte ein paar holprige und, wie er glaubte, beruhigende Worte auf Koreanisch, aber das Kind jammerte nur noch mehr und schrumpfte in dem Erdloch vor Angst regelrecht zusammen.
    »Was sollen wir bloß mit ihr tun?« Es war nicht allein die Ratlosigkeit eines im Umgang mit brüllenden Kindern wenig erfahrenen Mannes, die da aus ihm sprach. Er musste unweigerlich an Abhitha, das indische Straßenkind, denken.
    Der Schwarzhändler stand unschlüssig neben der Vertiefung und blickte finster auf das schreiende Mädchen.
    »Kaeddong, nun tu doch etwas!«
    »Am besten stülpen wir den Zuber wieder drüber. Dann hört sie vielleicht auf zu schreien.«
    »Das ist nicht dein Ernst!«
    »Ich kenne mich nicht mit Kindern aus.«
    »Na, dann haben wir wenigstens eines gemeinsam. Jetzt setz dich nieder und rede beruhigend auf sie ein. Mich scheint sie ja nicht zu verstehen.«
    »Vermutlich hält sie dich für einen Geist.«
    Es war nicht ausgeschlossen, dass Kaeddong seine Bemerkung ernst gemeint hatte. Wenigstens redete er nun endlich dem angstbebenden Kind sanft zu. Vielleicht hatte die Kleine noch nie einen Europäer gesehen, schon gar nicht so einen weißhaarigen, dünnen Riesen.
    Langsam beruhigte sich das Mädchen, richtete sich ein wenig auf und streckte Kaeddong seine spindeldürren Ärmchen entgegen. Wie David nicht ohne Verwunderung feststellte, konnte der Schwarzhändler ganz gut mit Kindern umgehen. Kein Wunder. Einkindfamilien gehörten in Korea zu den absoluten Ausnahmen.
    »Wir müssen ihr etwas anziehen«, sagte David, während Kaeddong

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