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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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rabenschwarzen Schopf und fragte sie nach ihrem Namen.
    »Phil Li-hi«, antwortete diese selbstbewusst.
    David staunte. Kaeddong wippte ungeduldig. Die Fischerin Yoo-me fragte, ob Li-hi Hunger habe.
    »Sie hat gerade gegessen«, bemerkte Kaeddong.
    »Großen!«, sagte Phillihi.
    »Und nun?«, meinte David.
    »Ihr seid unsere Gäste«, beschloss Jung-Sip.
    Die Fischersleute Pak legten viel Wert auf die althergebrachte Gastfreundschaft. Sie teilten mit den Fremden das wenige, das sie besaßen: Fischsuppe für alle und einige eilig umgeänderte Kleidungsstücke für Phillihi. Mangels Platz zogen sich die Gäste zur Nachtruhe in die verlassene Hütte auf der anderen Seite der Gasse zurück. Trotz Yoo-mes wiederholter Angebote bestand Phillihi darauf, bei den »alten Männern« zu schlafen – gemeint waren David und Kaeddong.
    Die Fischerin bereitete dem Mädchen am Hüttenboden ein bequemes Lager, aber kaum war das Licht der kleinen Kerze erloschen, kroch es unter seiner Decke hervor und grub sich bei David ein. Der ließ es ohne Widerspruch geschehen.
    Li-hi musste Furchtbares durchgemacht haben. Zwar war ihr der Anblick der sterbenden Eltern erspart geblieben, aber sie wusste, dass sie ihre Familie niemals wieder sehen würde. Die letzten vier Jahre des Zweiten Weltkrieges waren die ersten ihres Lebens gewesen. Auch später hatten Tod und Siechtum in der Armensiedlung zu den häufigeren Besuchern gehört. Schreckliche Bilder hatten sich dem jungen Geist eingebrannt. Phillihi war ein sehr ernstes Kind und ein sehr anschmiegsames.
     
     
    Am nächsten Morgen gab es eine lebhafte Diskussion zwischen David und Kaeddong über das weitere Vorgehen. Auf die Rückkehr des Fischer-Schmugglers Il zu hoffen, sei vergebliche Liebesmüh, behauptete der Schwarzhändler, und den Landweg nach Yongamp’o, dem angenommenen Schlupfwinkel Chung-guns, zu wagen ein noch aussichtsloseres Unterfangen. Gegen Letzteres konnte selbst David nichts einwenden. Aber mit Kaeddongs Idee, sich nach Süden durchzuschlagen, wollte er sich auch nicht anfreunden.
    »Ich halte das für kaum weniger gefährlich als eine Reise in den Norden. Immerhin müssten wir die Frontlinie passieren. Stell dir vor, Phillihi würde etwas zustoßen…«
    »Du bist verrückt!«, platzte es aus Kaeddong heraus. »Lass doch das Kind bei Yoo-me. Hast du nicht gesehen, wie sehr die Alte sich eine Enkelin wünscht?«
    »Dann bleiben wir alle hier«, antwortete David. Was wie Trotz klang, war nur die Reaktion auf einen ihm unerträglichen Gedanken: Er wollte Phillihi nicht zurücklassen. Sie hätte seine eigene Tochter sein können. Ein Vater lässt sein Kind nicht im Stich. Außerdem hoffte er immer noch, ein Transportmittel in den Norden zu finden. Leise, den Blick auf das Kind geheftet, meinte er: »Ich will Phillihi nicht einer ungewissen Zukunft aussetzen.«
    »Die Zukunft ist immer ungewiss, älterer Freund.« Auch Kaeddongs Stimme klang jetzt milder.
    »Aber man kann wenigstens versuchen sie in die eigene Hand zu nehmen. Ich bleibe hier. Mein Entschluss steht fest. Ich werde ein Schiff auftreiben und Chung-gun finden. Wenn er von Ung-doos Tod erfährt, ist er vielleicht sogar bereit, mit mir zu kooperieren.«
    »Das glaubst du doch selbst…«
    »Der Papa von Ung-doo wird weinen.«
    Die beiden Streithähne schauten Phillihi konsterniert an. Sie hatten ihre Meinungsverschiedenheit in Englisch ausgetragen, aber der Name eines ehemaligen Nachbarn musste dem Mädchen trotzdem aufgefallen sein.
    David kniete sich zu dem Kind, sammelte im Kopf rasch die passenden koreanischen Worte zusammen und fragte: »Kennst du Ung-doos Vater, Phillihi?«
    Sie nickte. »Der ehrenwerte Großvater von Nu-ri hat immer Geschenke mitgebracht. Auch für mich.«
    »Und wie sieht er aus?«, fragte David aufgeregt.
    Sie antwortete mit einem Wort, das er noch nicht kannte. Auf seinen fragenden Blick hin erwiderte Kaeddong: »Büffelfett.«
    »Du meinst, er ist dick?«, vergewisserte sich David.
    Phillihi nickte ernst, blähte die Backen auf und breitete weit die Arme aus.
    »So dick?«
    Sie nickte abermals.
    »Frag sie, ob sie Chung-gun wieder erkennen würde, Kaeddong.«
    »Du willst doch nicht…?«
    »Kaeddong! Bitte! Tu, worum ich dich gebeten habe.«
    Der Schwarzhändler stellte die Frage und Phillihi nickte ein drittes Mal.
    Etwa drei Wochen brachten David, Kaeddong und Phillihi in der Obhut des Ehepaares Pak zu, wurden von ihm versteckt, wenn die Nordkoreaner die Häuser durchkämmten, mit

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