Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
vorkam.
    »Phillihi muss Pipi«, übersetzte Kaeddong.
    Nachdem auch das behoben war, wurde Phillihi müde und jammerte. Kaeddong hatte natürlich alles vorausgesehen, behauptete er jedenfalls. Seit ihrem Aufbruch von der zerstörten Hüttensiedlung waren etwa drei Stunden vergangen.
    »Es kann nicht mehr weit sein«, tröstete David das Mädchen.
    Phillihis kleine Hand verkroch sich in der seinen. Das Klagen ließ nach.
    Einige Male fragten sie nach dem Weg. Flüchtige Gestalten (im wahrsten Sinne des Wortes) warfen ihnen verständnislose Blicke zu, aber vereinzelt erhielten sie auch Auskunft. Nordkoreanischen Soldaten mussten sie nur selten ausweichen. Noch brannten in Inch’on einige Häuser, auf den Straßen lagen Leichen, manche schrecklich entstellt. Immer wieder legte sich Davids Hand um Phillihis Augen, schob er ihren Kopf an seinen Leib, um ihr einen grausigen Anblick zu ersparen.
    Als das ungleiche Dreiergespann in eine neue Straße einbog, lag unerwartet in der Ferne das Gelbe Meer. Die Küste glich hier einer Festungsmauer, die sich jedem in den Weg stellte, sowohl der rauen See wie auch kaum weniger rüden Eroberern. Diesem Umstand verdankte Inch’on wohl den Vorzug einer nur verhältnismäßig kleinen Besatzungstruppe. Welcher Feldherr würde sich ausgerechnet diesen abweisenden Küstenstrich für eine Invasion aussuchen? Da konzentrierte man aufseiten der Nordkoreaner seine Kräfte doch besser auf lohnendere Ziele, etwa auf die Niederwerfung der restlichen Halbinsel.
    Inch’ons Hafen gehörte zu den größten und wichtigsten des Landes. Jenen, die hier eigentlich die älteren Rechte besaßen – den Fischern –, war nur ein Reservat geblieben, ein kleines, etwas abseits gelegenes Areal des Hafenbezirks. Unweit der Liegeplätze ihrer Boote befanden sich die bescheidenen Hütten der Seeleute.
    Da vorne stehe es, sagte Kaeddong, als er das Haus seines »Geschäftspartners« entdeckte, einen windschiefen Bretterverhau am Ende einer schmalen Gasse. Sofort beschleunigte der Schwarzhändler seinen Schritt. David und Phillihi hatten Mühe, dem hüpfenden Energiebündel nachzukommen.
    Die Hütte war hellblau lackiert. Ein frischer Anstrich hätte allerdings nicht schaden können. Kaeddong machte sich durch lautes Rufen bemerkbar. Niemand öffnete. Dann hämmerte er gegen die Tür. Keine Reaktion. Schließlich trat er in das unverschlossene Haus.
    »Il ist ausgeflogen«, rief eine Stimme von der anderen Seite der schmalen Gasse her.
    David, Phillihi und Kaeddong drehten sich um und blickten in das wettergegerbte Gesicht eines alten Mannes. Er war für einen Koreaner ungewöhnlich groß, stand aber leicht gebeugt. Hinter seinem Rücken lugte das runzelige Gesicht einer Frau hervor.
    »Wie lange ist das her?«, fragte Kaeddong.
    »Wartet«, sagte der Alte, als habe man ihm eine ungewöhnlich schwierige Rechenaufgabe gestellt. »Kurz bevor die Roten kamen. Vor drei Tagen, glaube ich.«
    »Hat er gesagt, wo er hingeht?«
    »Ich habe nur im Morgengrauen gesehen, wie er zu den Booten hinunter ist. Offenbar wollte er seinen Kahn in Sicherheit bringen.«
    »Vor den Roten?«
    »Nein, vor unseren Leuten. Sie haben alles beschlagnahmt, was nicht niet- und nagelfest war. Kriegswichtige Güter, hat es geheißen. Dass ich nicht lache! Jetzt müssen Yoo-me und ich von unseren Vorräten leben. Lange werden die nicht reichen.«
    »Du fährst noch zum Fischen hinaus?«, staunte Kaeddong.
    »Was soll ich machen? Meine Söhne sind im letzten Krieg gefallen. Und die Almosen, die ich vielleicht vom Staat bekommen könnte, reichen weder zum Verhungern noch zum Überleben. Bist du ein Freund von Il?«
    Es fing wieder an zu regnen. Ein dicker Tropfen platschte auf Kaeddongs linke Wange. Er kniff das Auge zu und bejahte die Frage. Nachdem er und der Fischer ihre Namen ausgetauscht hatten – der Alte hieß übrigens Pak Jung-Sip –, stellte er auch David vor, betonte dessen Vertrauenswürdigkeit und erzählte dann, wie sie an Phillihi geraten waren.
    Sobald das Gespräch auf das Waisenkind kam, verlor die Frau des Fischers die Scheu und trat hinter ihrem Mann hervor. Sie sah noch älter aus als er, war, selbst für eine Koreanerin, ungewöhnlich klein und besaß ein Gesicht, über das sich ein feinmaschiges Fischernetz zog: Runzeln, wohin man schaute. Ihr dünner Leib steckte in einem schlichten schwarzen Hemd, unter dem knöchellange Pumphosen in derselben Farbe hervorlugten.
    Die Alte legte eine knotige Hand auf Phillihis

Weitere Kostenlose Bücher