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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gelehnt eingeschlafen war, wurden einmütig Köpfe geschüttelt.
    Pak Jung-sip zauberte von irgendwo eine irdene Flasche mit soju, einem klaren Schnaps aus Reis und Gerste, hervor, füllte damit vier Trinkschälchen und tadelte den Schmuggler in großväterlich mildem Ton: »Was du für einen Unsinn redest, Il. In diesen Zeiten! Denkst du, wir sind Schwachköpfe?«
    »Ich habe nicht gelogen«, beharrte der Fischer-Schmuggler.
    David mischte sich zum ersten Mal in das Gespräch ein. »Das, was du vermisst hast, muss dir sehr wichtig sein.«
    Il drückte sich um eine Antwort und zuckte nur mit den Achseln.
    »Wann wolltest du wieder abhauen?«, erkundigte sich Kaeddong.
    »Sobald ich es ausgegraben habe.«
    »Wo?«
    Il stöhnte. »Es befindet sich unter dem Fußboden meiner Hütte.«
    »Und wo wolltest du hin?«
    »Was spielt das für eine Rolle? Choson hat dreitausend Inseln. Mit meinem Boot hätte ich schon ein Fleckchen gefunden, an dem es sich auf bessere Zeiten warten lässt.«
    »Besteht denn Hoffnung, dass die Roten bald zurückgeschlagen werden?«
    »Es heißt, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen will dem Süden Hilfe leisten, um ›die bewaffnete Aggression abzuwehren. Für mich klingt das nach einigen Wochen Hauen und Schlagen – danach geht alles weiter wie zuvor.«
    »Und da wolltest du mit deinem Schatz untertauchen, bis die Prügelei vorüber ist. Ein schöner Freund bist du.«
    »Was soll das nun wieder heißen?«
    »Du hast versprochen, meinen Auftraggeber mit dem Boot nach Norden zu bringen.«
    »Ja, bevor der Bürgerkrieg ausbrach. Die Abmachung gilt nicht mehr.«
    »Ich sehe das anders«, meinte David. Er sprach ruhig, aber unerbittlich. »Du hast den Preis auf achthundert Dollar… Wie sagt man?«
    »Hochgeschachert?«, schlug Kaeddong vor.
    David nickte. »Ich habe das Geld dabei. Jetzt musst du dein Wort halten, Il.«
    »Achthundert Dollar sind zu wenig für mein Leben«, wehrte sich der Schmuggler. »Es ist Krieg. Wir kommen niemals lebend in Yongamp’o an.«
    David raunte Kaeddong einige Worte zu und der übersetzte: »Die Demokratische Volksrepublik Korea ist keine Seemacht. Die Marine besitzt zweifellos nur wenige Kriegsschiffe, und wenn die Sowjets Radaranlagen gestiftet haben, dann gerade genug, um die am meisten gefährdeten Küstenstriche zu überwachen. Yongamp’o liegt an der chinesischen Grenze. Ein kleines Fischerboot, das sich vom offenen Meer her anpirscht, wird niemand bemerken.«
    Ok Il-Sung war ein Dickschädel, und das nicht nur im übertragenen Sinne des Wortes. Sein breites Gesicht wurde von wuchernden Augenbrauen dominiert, über denen eine hohe Stirn aufragte. Zwar erreichte er nicht ganz das Kampfgewicht von Kaeddong, war aber unzweifelhaft ein Mann, dem man ungern im Dunkeln begegnete.
    Gleichwohl ließ David sich vom Aussehen des Koreaners nicht beeindrucken. Er saß mit geradem Rücken auf dem Boden und blickte Il direkt in die dunklen Augen. »Wenn du dein Versprechen nicht einhältst, wirst du mit leeren Händen von hier weggehen.«
    Ein verzweifelter Gedanke zuckte durch Ils Hirn. David erkannte, was der Schmuggler vorhatte: Er wollte in seiner Jacke nach der verborgenen Pistole greifen.
    Nur um ihm zu zeigen, mit wem er es zu tun hatte, kam David dem Schmuggler zuvor. Er tippte sich mit der Rechten auf die linke Brust und sagte: »Du solltest die Waffe dort besser stecken lassen. Wie du weißt, werde ich leicht böse, wenn man mich bedroht.«
    Il war überrascht, blieb aber bockig. »Zwingen kannst du mich trotzdem nicht, dich nach Yongamp’o zu bringen. Und du hast schon gar kein Recht, mir mein Jadekind zu nehmen.«
    Allgemeines Aufhorchen. Nun war es also heraus. »Was für ein Jadekind?«, fragte Kaeddong; er hatte sein linkes Auge zugekniffen.
    »Das geht dich gar nichts an.«
    Der alte Jung-sip lächelte wissend. »Eine hübsche Steinschnitzarbeit, ungefähr eine Handspanne groß, ein kostbares Erbstück und das einzige Andenken an seine Familie, die…«
    »Ich weiß, was die Japaner ihm angetan haben«, unterbrach David den Fischer. Voller Mitgefühl wandte er sich dem Witwer zu, der ihn aus traurigen Augen musterte. »Verzeih mir, Il. Das konnte ich nicht ahnen. Hab keine Sorge: Ich werde dir das Erinnerungsstück nicht rauben. Du kannst die Jadefigur ausgraben und mitnehmen.«
    Ok Il-Sung wirkte erstaunt. Mitleid schien ein Gefühl zu sein, das er lange nicht erfahren hatte.
    Es kostete David große Überwindung, seine eigenen schmerzvollen

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