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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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einen Angehörigen des Geheimzirkels vermutet. Und nun behauptete dieser fette Kerl – auf bestürzend überzeugende Weise –, er kenne nur wenige Mitglieder! Sie werden angewiesen, dem Salzmann jede mögliche Hilfe zukommen zu lassen. Die Worte aus Ben Nedals Brief traten plötzlich aus Davids Erinnerung hervor. So wendete man sich nicht an einen Gleichgestellten, sondern an einen Untergebenen. Chung-gun war lediglich ein weiterer willfähriger Helfer des Schattenlords.
    Nur mühsam erlangte David seine Fassung wieder. Immerhin hatte der Koreaner soeben seinen ersten Fehler gemacht. Vielleicht ließ sich ihm ja noch mehr entlocken. Hatte er nicht von einem amerikanischen Logenbruder gesprochen?
    »Sie meinen Lucius Kelippoth?«
    Ans Erwiderung kam wie aus der Pistole geschossen. »Ist das eine Fangfrage? Toyama hat mir gesagt, der verstünde nur Englisch. Nein, ich meine natürlich… « Mit einem Mal zögerte er.
    David hielt den Atem an. Jetzt nur kein falsches Wort! »An wen hatten Sie gedacht?«
    An Chung-guns Augen verengten sich. »Sagt Ihr es mir. Und tretet bitte endlich näher, damit ich Euch und meine Enkelin sehen kann.«
    Jetzt hat er den Braten gerochen! David suchte fieberhaft nach einer passenden Antwort. Er sah nur einen Ausweg: den Frontalangriff. Mit einem füchsischen Grinsen erwiderte er: »Ihnen den Namen verraten? Für wie dumm halten Sie mich, An? Ich werde mich von einem kleinen Spion wie Ihnen nicht in die Enge treiben lassen.«
    »Ich ein Spion?«, japste An Chung-gun, sehr zu Davids Befriedigung. »Warum hegt Ihr plötzlich Zweifel an meiner Loyalität, nachdem ich dem Kreis der Dämmerung beinahe mein ganzes Leben lang treu gedient habe?«
    »Uns sind Gerüchte über einen Verräter in unserer Mitte zu Ohren gekommen, einen Doppelagenten, der einen von uns getötet hat und die Übrigen an diesen David Camden verraten will.«
    »Ihr glaubt doch nicht etwa, ich… ?«
    »Wer kann das wissen?«, schnitt David dem Koreaner scharf das Wort ab.
    An Chung-guns Nervosität nahm zu. »Ich gestehe ja ein, mich in den letzten Jahren nicht gerade zu meinem Vorteil verändert zu haben. Das eine oder andere Pfund…«
    »Nicht zum Vorteil? Sie sind behäbig und fett geworden!«, fiel David dem Meuchler erbost ins Wort. Er durfte ihm jetzt keine Ruhe mehr zum Nachdenken gönnen. »Das süße Leben hat an Ihrem Leib hässliche Spuren hinterlassen. Sie haben die Güte des Großmeisters schändlich missbraucht – vorausgesetzt, Sie sind überhaupt der, für den Sie sich ausgeben.«
    Jetzt bekam es An Chung-gun mit der Angst zu tun. Der Schweiß brach ihm aus und er fing an zu zittern. Offenbar litt er unter einem schwachen Herzen, denn er beugte sich vor, um nach einem länglichen goldenen Arzneikästchen zu greifen, das vor ihm auf dem Tisch lag. Als Sekundenprophet sah David die harmlose Aktion voraus und blieb ruhig stehen. Kaeddong dagegen missdeutete die nun vorwärts schnellende Hand. Mit wenigen Sätzen durchmaß er den Raum und hechtete nach der Schatulle. Sie war groß genug für einen Dolch oder eine kleine Pistole.
    Krachend landete der Schwarzhändler auf dem Mahagonitisch und rutschte bäuchlings auf An zu. Vier Hände rangen um das glitzernde Behältnis. Mal wurde es in die eine, mal in die andere Richtung gezogen, dann traf in einer plötzlichen Attacke An Chung-guns Rechte das Kästchen und katapultierte es mehrere Meter weit durch den Raum. Als es den Boden berührte, sprang der Deckel auf und sein Inhalt verteilte sich über die polierten Bohlen: zerspringende Fläschchen, pillenspuckende Schächtelchen, herumkullernde Salbentöpfchen.
    »Was habt Ihr getan?«, schrie An Chung-gun entsetzt und seine Augen weiteten sich. »Mein Herz!«, keuchte er. Dann stierte er Phillihi an, die er zum ersten Mal deutlich sehen konnte, und röchelte auf Koreanisch: »Du bist ja gar nicht meine Nu-ri, sondern nur… dieses schmuddelige Nachbarskind!«
    »Ich habe mich gewaschen, Großvater der älteren Freundin«, protestierte Phillihi. »Und neue Kleider habe ich auch.«
    Währenddessen hatte David den Tisch erreicht. Es bedurfte keines Medizinstudiums, um An Chung-guns Besorgnis erregenden Zustand zu erkennen.
    »Die Tabletten!«, hechelte der fette Mann, den rechten Arm zur am Boden liegenden Schatulle hin ausgestreckt, die Linke verkrampft am Hals. Kaeddong stand daneben, unschlüssig, ob er den Meuchelmörder bedauern sollte.
    »Welche Pillen sind für Ihr Herz?«, rief David.
    An Chung-gun

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