Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
glotzte ihn an, als hätte er ihn nicht recht verstanden. Sein Gesicht war kalkweiß, mit einem Stich ins Blaue. »Die kleinen weißen. Es sind nur noch zwei da«, antwortete er schließlich.
»Kaeddong, such sie und bring sie mir!«, befahl David, um sich gleich wieder An zuzuwenden. »Sind Sie nun ein Verräter oder nicht?«, fragte er den keuchenden Mann.
»Niemals! Bitte lasst mich am Leben.«
»Ich will Sie doch gar nicht umbringen, Sie Narr!«
»Bitte tut mir nichts.«
»Nein, Mann! Der Tod wäre eine viel zu milde Strafe für Sie.«
»Nicht töten!«, krächzte An. »Ich sage Euch, was Ihr wissen wollt, aber bitte nicht meinen Rücken…« Seine massige Hand verkrampfte sich über der linken Brust und er stieß ein grauenvolles Stöhnen aus.
»Ist Golizyn der Salzmann? Sagen Sie’s mir!«, forderte David.
In den Augen Ans schien ein Ja zu stehen, aber er antwortete nicht. David versuchte es mit einer, wie er glaubte, unverfänglicheren Frage. »Haben Sie der DVK im Auftrag Ben Nedals Waffen verschafft?«
»Und wenn es so wäre?«, schnarrte An Chung-gun.
»Dann haben Sie womöglich selbst die Mittel zur Auslöschung Ihrer Familie geliefert. Ich bin in der Armensiedlung bei Inch’on gewesen und habe das zerstörte Haus Ihres ältesten Sohnes gesehen. Ung-doo ist tot, ebenso seine Frau, die kleine Nu-ri und ihre beiden Geschwister. Die fünf Leichen waren schrecklich zugerichtet, An! Und das alles, weil Menschen wie Sie…«
»Nein!«, gurgelte An und schüttelte trotzig das schwere Haupt. Tränen schossen ihm in die Augen.
Obwohl dieser Mensch viel Böses getan hatte, empfand David Mitleid für ihn. Traurig meinte er: »Der Krieg ist eine unbezähmbare Bestie. Wer sie freilässt, muss damit rechnen, selbst von ihr verschlungen zu werden.«
»Hier sind weiße runde und weiße längliche Pillen«, kam es vom Boden her, wo Kaeddong kniete und mit einem Schürhaken versuchte eine Tablette aus der Spalte zwischen zwei Bohlen herauszuangeln. Phillihi rutschte neben ihm herum und rief jedes Mal »Hier!«, wenn sie eine neue Pille entdeckt hatte.
An Chung-guns schwammiges Gesicht war inzwischen mehr blau als weiß. Seine Brust bebte, das Atmen bereitete ihm offensichtlich furchtbare Schmerzen. David stieß in Gedanken eine Verwünschung aus. Seine letzte Mitteilung schien dem herzkranken Mann den Rest gegeben zu haben, ausgerechnet jetzt, wo er sich schon zweimal verplappert hatte. »Wie viele längliche siehst du, Phillihi?«, rief David dem Mädchen zu.
Es begann zu zählen: »Eins, zwei, drei…«
»Nimm eine von den runden!«, befahl er hastig dem Freund.
Phillihis spindeldürre Fingerchen befreiten endlich eine Tablette aus der Spalte. »Da ist sie«, sagte das Mädchen und reichte David die runde Pille.
»Danke.« Er drückte Ans Wangen über dem Unterkiefer zusammen, um ihm den Mund zu öffnen. Dann schob er die Pille hinein und sagte: »Schlucken Sie die Tablette hinunter, An.«
An Chung-gun reagierte nicht. Er war zu einem leblosen Fettberg geworden. David legte sein Ohr an die Brust des Mannes, aber das kranke Herz hatte aufgehört zu schlagen. Keinen deutlicheren Beweis hätte es dafür geben können, dass der Koreaner keiner der zählebigen Logenbrüder Belials war. Seufzend richtete sich David wieder auf »Der wird nie mehr eine Tablette schlucken.«
Kaeddong blickte entsetzt auf den halb entblößt zwischen den kostbaren Kissen ruhenden Toten. »Ich habe diesem Kerl ja einiges an den Hals gewünscht, aber dieses Ende – brr! « Er schüttelte sich.
»Ist Großvater der älteren Freundin tot?«, erkundigte sich Phillihi.
David legte ihr die Hand auf das Haar und zog ihren Kopf an seinen Leib. »Ja, Phillihi. Nun sind wir so weit gereist, um Nu-ris Großvater zu besuchen, und ausgerechnet jetzt muss er einschlafen.«
Ein Krachen riss die drei aus ihren Gedanken. Dong-Hong war in das Totenzimmer gestürzt – geradewegs durch die verglaste Terrassentür hindurch. Tausende von Splittern schwirrten durch den Raum. Chung-guns Leibwächter blutete aus mehreren kleinen Wunden, aber das schien ihn wenig zu beeindrucken. Er suchte den weißhaarigen Fremden, der ihn geblendet hatte.
Ein Schuss gellte durch den Raum. Wie es der Zufall wollte, traf er den soeben Dahingeschiedenen mitten in den Leib. Dong-Hong schrie wie ein verwundetes Tier.
Kaeddong zitterte, er hatte die schwarzen Augäpfel des Amokschützen erblickt und konnte sich nicht mehr von ihnen losreißen.
Aber da packte
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