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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Verdunkelung angeordnet. Leise, ständig nach Patrouillen Ausschau haltend, liefen sie erst durch eine breite, mit Flusssteinen gepflasterte Straße und bogen dann in eine schmale Gasse nach Norden ab. Ab und zu ließ David seine Taschenlampe aufblitzen. Wieder erreichten sie eine größere Straße, die bald leicht anzusteigen begann. Die Abstände zwischen den Häusern zu beiden Seiten wurden immer größer, bis der Ort mit einem Mal hinter ihnen lag.
    »An der Straße nach Sinüiju, ungefähr einen halben Kilometer hinter dem Ortsausgang«, wiederholte David leise, was der Geschichtsprofessor ausgekundschaftet hatte. »Wir müssten bald auf einen steilen Pfad treffen.«
    Genau so war es. Besagter Weg wurde von einer eisernen Pforte versperrt, gerade groß genug für ein Automobil. Beiderseits des Tores erstreckte sich eine hohe Mauer. David rüttelte an dem Gitter. Das Tor rührte sich nicht.
    »Der Kreis der Dämmerung scheint einheitliche Bauvorschriften für die Festungen seiner Mitarbeiter auszugeben.«
    Kaeddong sah ihn verständnislos an. »Was?«
    »Schon gut. Tritt einen Schritt zurück.«
    Der Schwarzhändler gehorchte und zog Phillihi an sich. David legte die Hände an die beiden Torflügel, schloss die Augen, konzentrierte sich einen Moment…
    Mit einem metallischen Knirschen sprang das Tor auf. Der linke Flügel war mitsamt seiner Verankerung oben aus der Mauer gerissen und hing windschief an der unteren Angel Phillihi kicherte. »Wie hast du das gemacht, Onkel?«
    »Das würde ich allerdings auch gerne wissen«, fügte Kaeddong erstaunt hinzu.
    David schüttelte den Kopf. Nun hatte er so lange mit Geldstücken, Katzen und anderen Utensilien geübt, aber wenn es wirklich darauf ankam, funktionierte das Ganze immer noch nicht richtig. »Ich nenne es die ›sanfte Verzögerung‹«, brummte er. »Und jetzt kommt.«
    Kaeddong zog das Mädchen mit sich, den Blick fest auf die abgerissene Torangel geheftet, und flüsterte dabei zweifelnd: »Sanft? Verzögerung? Demnächst sprengt er noch An Chung-guns Haus in die Luft und nennt es harmonische Umgestaltung‹.«
    David griff nach Phillihis anderer Hand und flüsterte noch einmal Anweisungen in ihr Ohr, die sie wohl schon tausendmal gehört hatte. »Und wenn du den Großvater von Nu-ri siehst, dann drückst du zweimal fest meine Hand. Alles klar?«
    Phillihi nickte ernst.
    Ohne Hast gingen die drei zu An Chung-guns Haus. Es ragte wie eine schlafende Riesenschildkröte weniger als einhundert Meter vor ihnen auf. Die Taschenlampe huschte über Steinplatten und Büsche. Grillen zirpten. David wollte einen möglichst unverfänglichen Eindruck machen. Deshalb traten sie fest auf, flüsterten nicht, sondern sprachen ganz normal, tappten nicht vorsichtig im Dunkeln herum, sondern ließen den Kegel der Stablampe munter hin und her tanzen. Der Mörder Ito Hirobumis verfügte weder über eine Privatarmee noch über einen ähnlich gepflegten Garten wie der selige Ben Nedal. Aber wenigstens einen Leibwächter hatte er.
    »Halt! Wer da?«, rief jemand vom Haus herüber.
    »Wir kommen in einer dringenden Angelegenheit«, schrie Kaeddong zurück, als gäbe es nichts, aber auch gar nichts zu verbergen.
    Plötzlich flammte ein Licht auf. Ein gelbes Rechteck erschien in der Dunkelheit, eine offen stehende Tür. Darin war ein Mann mit Petroleumlampe zu erkennen. Kein Handzeichen von Phillihi. Bald hatten die drei das Haus erreicht.
    Der Koreaner in der Tür sah aus wie ein Sirum-Ringer: kräftig gebaut, breiter Nacken, die Haare kurz geschoren, der Blick wild. Nur einen halben Kopf kleiner als David musste er auf die meisten seiner Landsleute hinreichend einschüchternd wirken, um seinen Herrn vor unangenehmen Belästigungen von vornherein zu bewahren. Deshalb mochte es ihn auch irritieren, als einer der beiden – wie er glaubte – alten Bauern unerwartet behände die drei Stufen zur Tür überwand und mit ihm auf Tuchfühlung ging.
    Der hagere Bauer deutete auf das Mädchen an der Hand des kleinen Dicken und zischte: »Das Herz deines Herrn wird hüpfen, wenn er sieht, was wir ihm hier aus Inch’on mitgebracht haben. Sein Sohn Ung-doo ist leider verhindert. Richte An Chung-gun unsere Grüße aus und sorge dafür, dass er uns empfängt.«
    Der Ringer blickte unschlüssig in das versteinerte Antlitz unter dem Zylinder. Es verwirrte ihn. Die schräg stehenden Augen des Landmannes wirkten ebenso seltsam wie sein Akzent. Auch sein Gesicht leuchtete im Petroleumlicht

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