Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
kibun!«
Kaeddong lachte. »So könnte man sagen. Jedenfalls nicht, wenn man dich zum Maßstab nimmt. Ich habe mir überlegt…«
»Warte!«, unterbrach David den Freund.
»Wieso?«
»Mir ist, als hätte ich eben einen Schuss gehört.«
»Das war bestimmt der Wagen. Er hat ständig Fehlzündungen.«
»Nein. Bleib bitte kurz stehen.«
Kaeddong gehorchte. David kurbelte die Scheibe herunter und lauschte. Plötzlich hallte ein weiterer Schuss durch die Nacht.
»Das war ein Gewehr«, sagte Kaeddong grimmig.
»Sie haben unser Boot entdeckt. Il ist in Gefahr. Gib Gas!«
Die schwere Limousine ähnelte in vielem einem Panzer. Sie war ungefähr so anzugstark, bestand aus beinahe so dickem Blech und walzte alles nieder, was ihr in die Quere kam. Als sie die Straße oberhalb des Landungsplatzes erreichten, entdeckte David dort mehrere schattenhafte Gestalten. Vier oder fünf hatten hinter einem kleineren Mannschaftswagen Deckung gesucht und zielten von dort auf die Bäume, hinter denen sich Il mit seiner Tugend verbarg. Zwei Schüsse blitzten durch die Nacht.
»Haltet euch fest!«, schrie Kaeddong und hielt direkt auf Fahrzeug und Heckenschützen zu.
David wusste noch nicht recht, wie er die Gabe der Verzögerung zum Schutz seiner Freunde einsetzen konnte, aber er würde sein Bestes tun. Der russische Blechhaufen krachte gegen das Armeefahrzeug.
»Raus hier!«, rief David. »Nimm Phillihis Hand und lass sie auf keinen Fall los. Ich bleibe hinter euch.«
Die beiden gehorchten.
Während sie sich im Mondlicht dem Versteck des Bootes näherten, fielen hinter ihnen mehrere Schüsse. Keine Kugel erreichte ihr Ziel. Sobald David das Mündungsfeuer eines gegnerischen Gewehrs im Voraus lokalisiert hatte, schaltete er die Waffe durch eine Ladehemmung aus. Mit einem Mal bekam er einen Riesenschreck.
»Köpfe runter!«, brüllte er. Im nächsten Augenblick krachte wieder ein Schuss. Er kam von der Tugend. »Il, bist du verrückt geworden?«, schrie er zum Beiboot hin. »Wir sind es. Stell das Feuer ein.«
Endlich erreichten sie den Gefährten. Als Kaeddong sich nach Ils Befinden erkundigte, antwortete dieser keuchend: »Alles in Ordnung. Lasst uns schnellstens das Boot ins Wasser ziehen und hier abhauen.«
Diesmal half sogar Phillihi mit. Mit dem Heck voran wurde die Tugend zu Wasser gelassen. David behielt die Bäume im Auge. Als er dort eine Bewegung sah, entwurzelte er kurzerhand eine Kiefer. Wer immer ihnen auch hatte nachsetzen wollen, gab den Plan schnell wieder auf.
»Warst du das eben?«, keuchte Kaeddong.
David hob Phillihi ins Boot. »Später, jüngerer Freund. Erst müssen wir hier weg.«
»Kann mir von euch mal vielleicht irgendjemand helfen?«, beschwerte sich Il vom Bug her.
»Wieso, bist du etwa zu fett geworden, um deinen Körper selbst ins Boot zu schwingen?«
»Nein, aber die Wunde macht mir jetzt doch ein wenig zu schaffen.«
Einen Herzschlag lang schienen Kaeddong und David wie zu Salzsäulen erstarrt.
»Du bist verletzt?«, fragte schließlich der Schwarzhändler.
»Ist es schlimm?«, setzte David nach.
»Wo denn?«, wollte Kaeddong wissen.
»Was spielt das für eine Rolle! Will mir denn niemand von euch helfen?«
Als sie den Schmuggler ins Boot hievten, konnte David die Verletzung sehen: ein dunkler Fleck, direkt auf dem Gesäß des Schmugglers.
»Wolltest du sie mit deinem Hinterteil in die Flucht schlagen?«, erkundigte sich Kaeddong, fügte nach einem Stöhnen Ils aber schnell hinzu: »Entschuldige, war nicht so gemeint.«
»Wirf den Motor an und bring uns hier weg«, befahl David dem Schwarzhändler. »Ich muss mich um Ils Wunde kümmern.«
Jeder ging jetzt seiner Aufgabe nach: Kaeddong brachte die Tugend aufs offene Meer hinaus, David stillte die Blutung an Ils rechter Gesäßbacke und Phillihi hielt die Taschenlampe, während sie mit der anderen Hand dem bewusstlos gewordenen Schmuggler über den Kopf streichelte.
Nach einer Weile fragte sie: »Wird der jüngere Onkel wieder gesund?«
David blickte besorgt auf den sich rot färbenden Verband, Il musste unmittelbar nach der Entdeckung durch die Strandpatrouille verletzt worden sein. Er hatte viel Blut verloren. Mit einem bemühten Lächeln antwortete der Sanitäter seiner Assistenzschwester: »Ja, Prinzessin, wir machen ihn wieder gesund.«
»Woher kannst du so gut mit Verbänden umgehen?«, fragte Kaeddong.
»Ich verspürte im Ersten Weltkrieg keinen Drang, andere Menschen zu töten, also half ich dabei, sie zu
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