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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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Brocken Brot an seine rote Knollennase knallte, davon abprallte und über den Hallenboden kullerte. Ich freute mich über meine Zielgenauigkeit. Als kleiner Junge hatte ich mit einem Stein immer gut getroffen, wenn ich mit den anderen Kindern meines Dorfes in den Getreidespeichern Ratten gejagt hatte. Befriedigt stellte ich fest, dass ich noch ebenso geschickt war wie früher. Tuck brüllte empört auf und warf seine halb gegessene Birne nach mir, die mich jedoch verfehlte und einen dünnen Hauptmann am Ohr traf. Wie auf ein Zauberwort flog plötzlich Essen kreuz und quer über die Tafel, denn die Anwesenden begannen sofort, sich mit Brot, Obst oder Käserinden zu bewerfen … Ein Dutzend Herzschläge lang herrschte pures, fröhliches Chaos. Ein großer Klumpen Käse zischte an meiner Wange vorbei, jemand ließ einen Löffel vorschnellen und bespritzte meine Cotte mit Suppe. Ich machte mich bereit, Rache zu nehmen … und dann zügelte ich mich.
    »Genug, genug! Bei Gott«, schrie Little John in gespielter Wut. Eine dünne Scheibe Gerstenbrot unklarer Herkunft prallte von seinem dicken, blonden Hinterkopf ab. »Genug, sage ich!«, brüllte er. »Den nächsten Bastard, der mit irgendwas wirft, verarbeite ich zu Hackfleisch, das schwöre ich.«
    »Schäm dich, Alan«, sagte Tuck und bemühte sich um eine strenge Miene. »Schäm dich. Haben wir dir in all der Zeit, seit du bei uns bist, denn gar keine Manieren beigebracht? Bist du immer noch der Bauernlümmel, den wir vor zwei Jahren aufgenommen haben? Nur, weil Robin nicht mit zu Tisch sitzt …«
    Ich hatte einen Apfel in der Hand und schon das Handgelenk verdreht, bereit zum Wurf. Doch es gelang mir, mich zu beherrschen, denn ich wusste, dass Little John keine leeren Drohungen machte.
    »Wo ist Robin eigentlich?«, fragte ich. Ich hatte einen Blick auf Sir James’ Gesicht erhascht – seine Miene drückte entrüstete Abscheu aus, und ich wollte das Thema wechseln. Trotz der herrlich albernen Anarchie unserer kleinen Schlacht bei Tisch hingen die Neuigkeiten, die ich zu überbringen hatte, wie eine dunkle Wolke über meinen Gedanken. »Warum hat er sich dieser vornehmen Versammlung edler Herren nicht angeschlossen?«
    »Er holt die Gräfin aus Locksley ab. Sie hat dort eine weise Frau besucht«, antwortete Tuck. »Er wollte später am Abend zurück sein, so Gott will, das hat er mir gesagt.«
    Marie-Anne, Countess of Locksley, war hochschwanger und stand kurz vor der Geburt, doch die Schwangerschaft war nicht leicht für sie gewesen. Während der ersten Monate hatte sie unter häufiger Übelkeit und Unwohlsein gelitten, und in letzter Zeit war sie sehr dick geworden und fühlte sich rastlos und unglücklich. Marie-Anne war eine schöne Frau, vielleicht die schönste, die ich je gesehen hatte. Sie war schlank und hatte kastanienbraunes Haar und prachtvolle hellblaue Augen, und sie fand es grässlich, so dick und plump zu werden, während das Baby in ihr wuchs – wie ein fettes, schwerfälliges Mastschwein, hatte sie einmal gesagt. Doch sie hatte noch irgendeinen anderen Kummer wegen dieser Schwangerschaft. Ich wusste nicht, worum es dabei ging, aber es war irgendetwas zwischen ihr und Robin. Einmal hatte ich unangekündigt ihr Gemach betreten und miterlebt, wie sie einander anschrien. Das war höchst ungewöhnlich – Robin verlor so gut wie nie die Beherrschung. Und Marie-Anne schien das Leben stets mit beinahe engelsgleicher, gelassener Sanftmut zu nehmen. Ich schob diesen Vorfall auf die Widrigkeiten der Schwangerschaft und dachte nicht mehr daran.
    Das Dorf Locksley lag nur drei Meilen weit entfernt, und selbst mit einem Eselskarren – Marie-Annes Bauch war inzwischen zu groß, als dass sie auf einem Pferd hätte reiten können – würde Robin nur zwei Stunden brauchen, um sie dort abzuholen und nach Kirkton zurückzubringen. Die Gewissheit, dass er binnen einer Stunde wieder da sein würde, war eine Erleichterung. Die Mahlzeit war beendet, und einer nach dem anderen erhoben sich die Männer von der langen Tafel. Einige versammelten sich um das Feuer in der Mitte der Halle, genossen die Wärme, unterhielten sich, würfelten und tranken ihren Krug Wein oder Bier aus. Andere schlenderten hinaus zum abgelegensten Gebäude auf dem Hof, unserer Latrine – nicht mehr als ein mit Planken bedeckter Graben im Boden. Wieder andere bereiteten sich ihr Lager aus Decken und Fellen auf dem mit Binsen bestreuten Boden, an den Wänden entlang, und legten sich nieder.

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