Der Kreuzfahrer
In der Stille klang das Geräusch sehr laut, wie der Schrei einer Möwe. Die Diele knarrte noch einmal, dann war es wieder still, und ich wusste, dass er mitten im Raum stehen geblieben war, um keinen weiteren Lärm zu machen. Im Geiste konnte ich seine Position genau vor mir sehen. Aber ich musste ihn dazu bringen, näher zu mir zu kommen, ohne meine eigene Position zu verraten. Ich tastete in der Dunkelheit herum, und meine Hand berührte den kühlen irdenen Wasserkrug. Ich steckte die Hand hinein und stellte fest, dass er halb voll war. Mit beiden Händen hob ich ihn lautlos hoch, das Messer zwischen die Zähne geklemmt, und schleuderte ihn von mir weg in die Ecke. Der Krug zerschellte mit einem unglaublichen, erschütternden Klirren, und ich hörte die Dielen erneut knarren, als der Mann sich auf die Ecke zubewegte und mit dem Schwert um sich hieb. Auf Händen und Knien kroch ich zu der Stelle, wo ich ihn vermutete, nahm das Messer in die rechte Hand und griff mit der linken nach seinem Oberschenkel. Ich lag nur knapp daneben, und als ich sein Knie packte, schrie er schrill auf vor Schreck und Angst. Einen Augenblick später hatte ich das Messer tief in die weiche Innenseite seines Oberschenkels gestoßen und es mit einer kräftigen, breiten Drehung wieder herausgerissen. Er kreischte entsetzlich vor Schmerz und Grauen und drosch mit dem Schwertknauf auf meine Schultern ein. Doch für mein Manöver wurde ich mit einem Schwall seines heißen Blutes belohnt, das mir ins Gesicht spritzte wie aus einem Springbrunnen und meinen Kittel am Oberkörper durchtränkte. Da wusste ich, dass er so gut wie tot war.
Ich ließ das Messer fallen, wich hastig außer Reichweite seines rudernden Schwertes zurück und kroch wieder unter das Bett. Das Geheul des Mannes erfüllte den Raum, grell und herzzerreißend, und ich war mir sicher, dass es nicht nötig war, noch deutlicher Alarm zu geben. Ein Schrei nach dem anderen gellte mir in den Ohren, während seine Lebenskraft aus dem zerfetzten Oberschenkel schoss. Dann hörte ich ihn wie einen Mehlsack zu Boden plumpsen und nur noch schwach wimmern. Offenbar versuchte er, den Strom seines hervorsprudelnden Blutes einzudämmen. Ich roch es, ein säuerlicher Eisengeruch. Selbst im Stockdunklen konnte ich mir deutlich vorstellen, was gerade geschah, denn ich hatte so etwas schon einmal gesehen. Ich hatte gezielt die große, pulsierende Ader aufgeschlitzt, die an der Innenseite des Oberschenkels verläuft, und wenn er nicht schnell etwas fand, womit er das Bein abbinden konnte, würde er binnen dreißig Herzschlägen mausetot sein.
Die Tür des Schlafgemachs flog auf, und eine Gruppe Bewaffneter stürmte mit Fackeln und Kienspänen und aufgeregtem Lärm herein. Der Angreifer saß mit gespreizten Beinen und qualvoll verzerrtem, kreideweißem Gesicht in einem wahren See aus Blut. Ich schob den blutbespritzten Kopf unter dem Bett hervor und starrte ihn an.
Er brachte noch vier Worte heraus, ehe er leblos in der glänzenden Lache zusammenbrach: »Nicht meinen Jungen, bitte …«, flüsterte er, und dann war er tot.
Kapitel 2
D er Tote war ein Niemand – ein Bogenschütze namens Lloyd ap Gryffudd, einer von Dutzenden, die Tuck jüngst in Südwales angeworben hatte. Er war ein erfahrener Schütze und, soweit bekannt, ein vertrauenswürdiger Soldat – behauptete Owain, der Hauptmann von Robins Bogenschützen. Es war offensichtlich, dass Owain sich irgendwie verantwortlich fühlte, weil einer seiner Männer versucht hatte, Robin zu ermorden. Als wir spät in der Nacht bei einem Becher Wein, den ich dringend brauchte, darüber sprachen, war er sichtlich erschüttert.
Nachdem der ganze Haushalt aufgescheucht worden war, herrschte nun wieder Ruhe. Die Diener hatten den Leichnam hinausgebracht und das Blut aufgewischt, und der grauhaarige walisische Bogenschütze und ich kauten an der langen Tafel in der Halle den Angriff noch einmal durch.
»Er muss betrunken gewesen sein, Alan, oder schlicht wahnsinnig«, sagte Owain. »Er wäre doch niemals lebend davongekommen. Die Männer hätten ihn in Stücke gerissen, ehe er auch nur hundert Schritt weit hätte fliehen können. Sie lieben Robin, weißt du? Sie verehren ihn, verdammt noch mal.«
»Vielleicht, ja, vielleicht aber auch nicht«, erwiderte ich. »Der Angriff war gefährlich, aber in der Halle haben schon alle geschlafen. Es hätte ihm sehr wohl gelingen können, Robin und Marie-Anne zu ermorden und durch das Fenster zu entkommen, ehe
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