Der Kreuzfahrer
Anblick nie vergessen, er war so … verloren. Die Männer fanden das natürlich lustig – der hochmütige Sheriff, der uns um Gnade anfleht. Ich hatte mein Schwert blankgezogen und war bereit, ihn umzubringen, als Tuck dazwischenging. Und in meiner jugendlichen Schwäche hörte ich auf ihn. ›Lass ihn auf das Kreuz schwören, dass er uns in Zukunft nicht mehr belästigen wird‹, sagte Tuck. ›Lass ihn schwören, bei allem, was heilig ist, dass er Lösegeld bezahlen wird‹, beharrte er, ›und erspare deiner Seele ein weiteres schwarzes Mal.‹
Damals war ich ein Weichling, ein Narr, und ich hörte auf Tucks Bitte. Also legte Murdac einen heiligen Eid ab, dass er uns im Wald nicht nachstellen würde, dass wir Gesetzlosen im Sherwood tun könnten, was uns gefiele. Er versprach, binnen drei Tagen ein Lösegeld an genau der Stelle zu übergeben, wo er jetzt kniete – ich habe vergessen, wie viel, aber ein hübsches Sümmchen. Zwanzig Silbermark, glaube ich. Und ich war so dumm, ihn ziehen zu lassen.«
Robin stocherte wieder mit dem Zweig im Feuer herum. »Selbstverständlich hat er nicht bezahlt. Vielleicht hatte er das sogar vorgehabt, als er um sein Leben flehte, doch sobald er wieder sicher zu Hause in Nottingham Castle saß, war er auf gar keinen Fall bereit, einem Geächteten etwas von seinem Silber zu geben. Seltsamerweise hat er uns aber tatsächlich in Ruhe gelassen, über ein Jahr lang. Das verschaffte mir mehr als genug Zeit, meine Organisation zu stärken. Alle möglichen Leute schlossen sich mir an. Beim gemeinen Volk hatte ich mich durchgesetzt. In dieser Hinsicht war unser Raub ein Erfolg. Die Leute zollten mir Aufmerksamkeit und Respekt.«
»Murdac zu töten hätte den Zorn des Königs erregt«, wandte ich ein. »Henry wäre mit einer Streitmacht gen Norden gezogen und hätte Euch zerquetscht wie ein Insekt.«
»Ja, das ist wahr«, gab Robin zu, »aber ich wünschte dennoch, ich hätte der kleinen Giftkröte die Kehle durchgeschnitten.«
Am nächsten Tag führten wir unsere Pferde am frühen Nachmittag unter dem niedrigen Bogen der Micklegate Bar hindurch. Auf dem Stadttor prangten grausig die abgeschlagenen Köpfe von Verbrechern, auf Spießen zur Schau gestellt. Ich war noch nie in dieser großen Stadt gewesen und sehr neugierig auf York. Während wir breite Straßen entlang zu der alten Brücke über die Ouse ritten, nahm ich die dicht an dicht gebauten Läden, Werkstätten und Häuser, die geschäftigen Schwärme von Menschen, die Geräusche und Gerüche der Straßen in mich auf. Es schienen eine Menge Leute unterwegs zu sein, viel mehr, als um diese Stunde in Nottingham außer Haus wären, und die meisten wirkten recht aufgebracht. Außerdem, so fiel mir auf, bewegten sich in der Menge viel mehr Bewaffnete, als man in einer Stadt von dieser Größe erwarten würde.
Robin schien meine Gedanken zu lesen. »Sir John Marshal, der Sheriff von Yorkshire, sammelt Truppen aus der Umgebung für den Kreuzzug«, erklärte er. »Benimm dich unauffällig, Alan, mit so vielen Soldaten in der Nähe. Gerate mir ja nicht in Schwierigkeiten und provoziere niemanden.« Wie so oft, wenn er mit mir sprach, klang Robin halb ernsthaft, halb scherzend.
Robin und ich überquerten die alte Brücke hintereinander, und ich hielt mir beim Gestank der öffentlichen Latrinen die Nase zu – Holzschuppen waren so erbaut worden, dass die Rückseite über das träge braune Wasser hinausragte und die Bürger sich direkt in den Fluss erleichtern konnten. Rechts von mir, ein paar hundert Schritt weit entfernt, ragten auf einem Hügel die hohen Holzwälle des King’s Tower auf, der großen Festung von York, die als Wahrzeichen der Macht des Königs auch hier im Norden finster auf die Stadt herabblickte. Etwa eine Viertelmeile zu meiner Linken war die Abtei St. Mary’s zu erkennen, eine der heiligsten Institutionen in ganz Yorkshire. Ich wusste, dass Robin in der Vergangenheit Ärger mit dem Abt gehabt hatte – Robin hatte ihn öffentlich wegen seines Reichtums lächerlich gemacht und seine Diener ausgeraubt, wenn sie durch den Sherwood reisten. Daher würde er das Kloster meiden wollen, wenn es nur irgend ging.
Wir hielten uns weder nach rechts zur Burg, noch bogen wir links zum Kloster ab, sondern ritten schnurstracks den Hügel hinauf, zwischen Reihen aneinandergequetschter Häuser hindurch, von denen manche zwei oder gar drei Stockwerke hoch aufragten. Die Stadt war beeindruckend, doch ich spürte, dass hier
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