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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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und zog einen weiteren Pfeil aus seinem Köcher. Ich sah Malbête direkt zu uns emporstarren. Seine wilden Augen glitzerten irre, und dann zog er den Kopf ein und schlängelte sich wie ein Aal rückwärts durch die Menge. Er warf uns noch einen hasserfüllten Blick zu, ehe er sich abwandte und auf dem Burghof verschwand.
    Der Kampf am Fuß des Turms war noch nicht vorbei, doch gab es erste Anzeichen dafür, dass der Feuereifer der Leute unter dem grausigen Hagel von Bolzen und Steinbrocken erlahmte. Ein junger Mann, dünn und gelenkig, dessen Gesicht vor religiöser Inbrunst glühte, versuchte in seinem Wahn, die rauhe Wand des Turms zu erklimmen, indem er zwei starke Messer als Griffe ins Holz stieß. Ich beugte mich über die Brustwehr und jagte ihm einen Armbrustbolzen in die Kehle. Das war der erste Schuss, den ich heute abgegeben hatte, und mit klammem Bedauern sah ich zu, wie er abstürzte und die Hügelflanke hinabkullerte. Er kratzte an dem dicken schwarzen Schaft, der aus seinem Hals ragte, während er an seinem eigenen Blut erstickte.
    Und dann war es plötzlich vorbei. Die Bürger von York strömten über die Rampe zurück auf den Burghof. Viele stützten ihre humpelnden Freunde, doch mehr als vierzig Leichen blieben auf dem blutigen Gras des Hügels zurück. Einige der Juden schossen den davoneilenden Leuten nach, trafen jedoch nicht mehr, und Robin rief: »Haltet ein, nicht schießen! Spart euch die Bolzen auf.« Und plötzlich waren wir ein Haufen grinsender, jubelnder Männer, die einander keuchend und verschwitzt auf die Schultern klopften – zitternd, aber noch am Leben, und vorerst siegreich.
     
    Das laute Hämmern war unerbittlich, ein pausenloses Pochen, das direkt gegen einen empfindlichen Punkt an meinem Hinterkopf gerichtet schien. Es begann, kurz nachdem die letzten Angreifer sich auf den Burghof zurückgezogen hatten, und währte stundenlang. Noch schlimmer als der Lärm war das Wissen darum, was sie da bauten: Leitern. Wir hatten sie in dem blutigen Scharmützel vor dem Turm nicht besiegt – sie würden wiederkommen, und zwar wesentlich bedachter.
    Die Juden jedoch feierten ihren Triumph, und als eine Kompanie ins Erdgeschoss geschickt und durch eine Gruppe frischer Krieger abgelöst wurde, sangen und scherzten die Männer und prahlten mit der Anzahl der Feinde, die sie getötet haben wollten. Ich ging mit ihnen hinunter, aus der Sonne, und nahm in der dämmrigen kleinen Halle im Erdgeschoss Brot, Käse und Bier von Ruth entgegen. Sie strahlte vor Glück, und ihre Augen leuchteten, während sie die hungrigen Männer mit Essen versorgte.
    Ich hatte das mulmige Gefühl, dass sie glaubte, die Schlacht sei vorüber. Doch ich brachte es nicht über mich, ihr diese Illusion zu nehmen: Ich wusste, dass uns noch ein sehr viel härterer Kampf bevorstand, ehe wir uns als Sieger betrachten konnten. Und jeder Christ, den wir töteten, würde die Herzen noch mehr gegen uns verhärten, wenn Sir John Marshal und seine Truppen endlich zurückkehrten, wo immer sie jetzt sein mochten.
    Robin suchte mich auf, als ich, an die Wand der Halle gelehnt, ein wenig döste. Er war in Begleitung von Reuben und drei weiteren Juden. Alle waren mit Schwertern bewaffnet, und zwei der Männer, die ich nicht kannte, trugen Schilde. Ein Schwert wie Reubens hatte ich noch nie gesehen: Es war schmal, ja geradezu zart, und leicht gekrümmt. Ich starrte es an und fragte mich, wie ein Mann eine so mädchenhafte Waffe führen konnte.
    »Sie werden bald wieder angreifen«, begann Robin ohne Umschweife. »Und zwar von allen Seiten, mit Leitern.« Er hielt inne und musterte Reubens Begleiter nachdenklich. »Wir könnten es schaffen, sie abzuwehren, aber wenn sie die Brustwehr überwinden, musst du, Alan, sie gemeinsam mit Reuben und diesen drei guten Männern zurückschlagen. Ihr fünf beteiligt euch nicht am allgemeinen Kampf, sondern haltet Ausschau nach Lücken. Es ist eure Aufgabe, wie der Korken in einer Flasche jede Öffnung zu verschließen, die sich in unserer Verteidigung auftut. Ist das klar?«
    Ich nickte. Robin grinste mich an. »Gut. Alan, du hast das Kommando, und denke daran – wir alle verlassen uns auf euch«, sagte er und ging. Wir stapften die Treppe zum Dach hinauf und bezogen Stellung in der Mitte der offenen Plattform. Es war Nachmittag, und selbst in der schwachen Märzsonne war es hier oben angenehm warm. Wir befanden uns je fünfzehn Schritt weit von den vier Seiten der Brustwehr entfernt, und ich

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