Der Kreuzfahrer
war. Als die Erregung abflaute und mein Herz wieder im gewohnten Tempo schlug, spürte ich eine gewaltige Last auf meiner Seele und betrauerte die vielen Christen, die die Sonne nie wieder würden aufgehen sehen. Noch auf dem Dach fiel ich auf die Knie und betete zum Allmächtigen, Er möge den Seelen der Erschlagenen Seine Gnade zuteilwerden lassen und ihnen ihre Sünden vergeben. Ich fügte noch ein kleines Dankgebet dafür hinzu, dass Er mich in all dem Blutvergießen und Gemetzel dieses Tages behütet hatte. Dann begann ich damit, meine Waffen zu säubern und zu ölen. Ich wusste, dass ich sie nur allzu bald wieder brauchen würde.
Kapitel 5
I n jener Nacht hielten wir Wache – zwei Kompanien wachten, eine ruhte sich aus –, doch sie kamen nicht noch einmal. Die feindlichen Posten um den Turm blieben jedoch. Im Licht kleiner Lagerfeuer bewegten sich Leute, aber es kam zu keinem Angriff. Stattdessen schichteten sie einen hohen Scheiterhaufen inmitten des Burghofs auf, hängten einen großen Kessel an einem Dreibein über das Feuer und füllten ihn mit Wasser aus dem Fluss. Es dauerte mehrere Stunden, bis das Wasser in dem riesigen Eisenkessel kochte, und bis es fröhlich sprudelte, waren aus dem Dunkeln Leute gekommen, die sich um das Feuer und den gewaltigen Kochtopf versammelten. Ich war davon ausgegangen, die Christen wollten irgendeinen Eintopf kochen, um die Menschenmassen zu verköstigen, die zusammengeströmt waren, um die Juden im Turm sterben zu sehen. Doch da hatte ich mich getäuscht. Furchtbar getäuscht.
Im Gedränge um den Kessel erkannte ich zwei Männer in dunklen Priesterroben und die große Gestalt von Sir Richard Malbête. Einer der Priester schien eine Art Gottesdienst abzuhalten – er sang Psalmen und ließ die Gemeinde Gebete sprechen. Dann lief etwas wie eine kleine Welle durch die Menge, und sie spie ein großes, seltsam geformtes Bündel aus, das neben dem Feuer auf den Boden plumpste. Dann bewegte es sich, und ich erkannte, dass es sich um ein Mädchen handelte – schmal, verängstigt, übel zugerichtet und straff gefesselt.
Neben mir auf der Dachplattform stieß jemand einen scharfen Schmerzensschrei aus, und ich wandte mich um und sah einen beleibten Juden in einem Gewand aus feinem Stoff. Sein Mund war qualvoll aufgerissen, und er deutete auf den Burghof und das gefesselte Mädchen hinab. Sogleich wurde er von seinen Freunden umringt, die ihn trösteten und von der Brüstung wegzuführen versuchten.
»Das ist seine Tochter«, sagte eine Stimme neben mir, und ich bemerkte Robin, der sich mit grimmiger Miene auf seinen Bogen stützte. »Was auch immer sie mit ihr vorhaben, er sollte es besser nicht mit ansehen«, fügte er hinzu. Seine Stimme klang eiskalt und tonlos.
Ein junger Mann beugte sich über die Brüstung und brüllte in Richtung des nächsten Wachfeuers hinunter: »He, Christen! He, ihr da!«
Keine Antwort. Also beugte der Mann sich noch weiter hinaus, während seine Kameraden ihn an den Beinen festhielten. »He, Christen, so antwortet doch!«
Nach einer kurzen Stille antwortete eine Stimme aus der Dunkelheit. »Was willst du, verfluchter Jude? Mach nicht solchen Lärm, lass uns schlafen.«
»Was geschieht dort in der Burg? Sie haben die Tochter von Mordechai, dem Silberschmied. Was haben sie mit ihr vor? Sag es mir, Christ, um der Liebe Gottes willen. Sie ist erst zehn Jahre alt und hat keiner Seele etwas zuleide getan.«
Von drunten waren gedämpfte Stimmen zu hören. Dann erscholl grölendes Gelächter, und eine neue Stimme sprach. »Sie ist eine dreckige Jüdin, also muss man sie gründlich waschen, du Schwein. Sie werden sie taufen und ihre Seele zu Jesus Christus schicken, der sie zweifellos auf der Stelle in die Hölle verbannen wird, wo sie hingehört!« Weiteres Gelächter war zu hören – ein heiseres, gackerndes Kichern wie von lachenden Teufeln.
Robin und ich starrten auf den Burghof hinunter, wo der Gottesdienst offenbar eben zu Ende ging. »Was würdest du sagen, wie groß die Entfernung ist, Alan«, raunte Robin mir zu, »von hier zum Kessel – zweihundertfünfundzwanzig Schritt?« Er sprach mit so emotionsloser Stimme, dass er ebenso gut eine Bemerkung über das Wetter hätte machen können.
»Eher zweihundertdreißig, würde ich meinen«, antwortete ich und versuchte, mich ebenso ungerührt zu geben. Doch die Szene, die sich vor mir anbahnte, hielt mich in hilflosem Entsetzen gebannt.
Als die beiden Soldaten das gefesselte Mädchen
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