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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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aufhoben, kippte ihr Kopf nach hinten, das dunkle Haar fiel zurück, und ich erhaschte einen Blick auf ihr kreideweißes, angstverzerrtes Gesicht. Die Soldaten hoben sie in die Höhe, der Priester machte das Kreuzzeichen, einzelne Rufe erschollen aus der Menge – und sie hievten das Mädchen schwungvoll in das kochende Wasser. Ihren Schrei unaussprechlicher Qual, bei dem mir das Blut in den Adern stockte, kann ich heute noch hören, über vierzig Jahre später. Er ließ meine Seele welken, und jeder einzelne Muskel in meinem Leib spannte sich, hart und starr wie Eisen.
    Doch Robin neben mir regte sich. Während das entsetzliche Geheul des verbrühten Mädchens um den Turm hallte wie das Kreischen einer Banshee im Wind, zog Robin einen Pfeil aus dem Köcher, legte an, spannte und schoss mit einer einzigen, fließenden Bewegung. Der weißliche Eschenschaft blitzte auf, wenn er durch Lichtinseln in der Dunkelheit flog, der Pfeil beschrieb einen flachen Bogen und traf genau sein Ziel, die Brust des bedauernswerten Mädchens. Das Kreischen verstummte so abrupt, als wäre sie mit einem Beil enthauptet worden. Das war ein grandioser Schuss gewesen, unglaublich genau auf eine solche Entfernung und bei diesen Lichtverhältnissen eigentlich unmöglich, und doch war er Robin gelungen.
    Die Gestalten um den Kessel erstarrten vor Schreck. Eben noch hatten sie zugesehen, wie sich ein kleines jüdisches Mädchen in unvorstellbarer Pein die Seele aus dem Leib schrie, und im nächsten Moment schwamm da nur noch eine Leiche auf dem brodelnden Wasser, die sacht auf und ab hüpfte wie ein einsamer Grießkloß in einem Kessel Suppe.
    Robin legte erneut an, und auch dieser Schuss gelang ihm beinahe übernatürlich genau. Der Pfeil fuhr in den Bauch des Priesters, der den »Gottesdienst« abgehalten hatte. Sein entsetztes Gesicht, als plötzlich ein weißer Schaft aus seinem dicken Bauch ragte, war wahrhaft komisch. Doch während er ungläubig auf seine Mitte hinabstarrte, erkannten die Leute in der Menge die Gefahr, sie stoben auseinander und suchten Deckung, wo sie konnten. Von Sir Richard Malbête war nichts zu sehen. Wieder einmal hatte er sich beim ersten Anzeichen von Unannehmlichkeiten verdrückt.
    Ich hörte Robin neben mir leise fluchen und drehte mich zu ihm um. Er blickte auf seinen leeren Köcher hinab und stieß einen Schwall äußerst lästerlicher Obszönitäten aus. Da sah ich, dass er nur noch einen einzigen Pfeil übrig hatte, nämlich den in seiner Hand. Er fing meinen Blick auf, zuckte mit den Schultern, legte an und schoss auf einen Soldaten, der über den Burghof rannte, um Schutz in der Kapelle zu suchen. Der Pfeil traf den Mann mit Wucht in den Rücken, durchstieß trotz der Entfernung von zweihundert Schritt dessen Kettenhemd und schleuderte ihn zu Boden. Er bewegte sich noch schwach, doch Robin ignorierte ihn und wandte sich mir zu.
    »Ich hätte mehr Pfeile mitnehmen müssen, Alan. Das war ein Fehler.«
    »Wir hatten nicht vor, in eine ausgewachsene Schlacht zu geraten«, erwiderte ich.
    »Das stimmt, aber solche Fehler können einen unschönen Tod zur Folge haben.« Mit einem schiefen Lächeln wandte er sich ab und ging zur Treppe.
    Ich blieb die ganze Nacht lang auf dem Dach stehen – eine verrückte, sinnlose, vollkommen idiotische Hommage an dieses kleine Mädchen. Ich dachte an sie und an den schnellen, gnädigen Tod, den Robin ihr beschert hatte. Und ich dachte an Sir Richard Malbête.
    Im ersten grauen Morgenlicht kam Ruth mit Bier und Brot zu mir herauf, und ich ließ mich endlich mit steifen Beinen zu Boden sinken, setzte mich und aß. Doch schon schreckten mich Trompetenstöße von meinem Frühstück auf. Meine Kameraden und ich sammelten uns an der Brüstung, um eine Kavalkade von fünfzig Rittern und etwa hundert Fußsoldaten zu beobachten, die durch das Osttor in den Festungshof einzogen. Ihnen folgte ein Zug Ochsenkarren, die offenbar lange, rechteckig behauene Balken geladen hatten. Sir John Marshal war auf seine Burg zurückgekehrt.
    Bei den belagerten Juden im Turm herrschten gemischte Gefühle. Einige Männer gingen davon aus, dass sie gerettet seien, jetzt, da der Stellvertreter des Königs zurückgekehrt war. Andere sahen schwarz und betrachteten diese neue Armee als Verstärkung für unsere Feinde.
    »Zumindest müssten wir jetzt verhandeln können«, sagte Reuben zu mir. Wir standen nebeneinander an die Brüstung gelehnt und blickten auf den Burghof hinunter. Er hatte sein Frühstück

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