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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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mit heraufgebracht und kaute auf einer Brotkruste, während wir zusahen, wie sich die Burg mit Soldaten füllte. Unmittelbar unter uns lagen die Toten noch so, wie sie gefallen waren, von niemandem berührt außer den glänzenden Raben, die sich zu Dutzenden eingefunden hatten, um in gieriger Gleichgültigkeit gegenüber der menschlichen Würde an den christlichen Leichen herumzupicken.
    »Darf ich einmal Euer Schwert sehen?«, bat ich Reuben schließlich. Er tat mir den Gefallen, zog die schlanke, geschwungene Klinge aus ihrer verzierten Scheide und reichte sie mir mit dem Griff voran. Sie lag leicht, viel zu leicht in meiner Hand. Ich schwang sie probeweise ein paar Mal durch die Luft. Es fühlte sich an, als wedelte ich mit einem Zauberstab – das Schwert besaß nichts von der brutalen Wucht meiner eigenen Waffe. Doch, bei Gott, schnell konnte man damit sein. Reuben löste einen dünnen Seidenschal von seinem Hals und bat mich, das Schwert auf Armeslänge vor mir auszustrecken. Er hielt das Tuch über die Klinge und ließ es fallen. Die Seide wurde entzweigeteilt, zerschnitten allein durch das eigene Gewicht.
    Ich war bass erstaunt. Noch nie im Leben hatte ich eine so scharfe Klinge gesehen. Ich befühlte sie und schnitt mir prompt tief in den Daumenballen. Geknickt sog ich an dem verletzten Finger, dann fragte ich Reuben, woher er eine so großartige Waffe habe.
    »Das ist ein Säbel nach arabischer Art«, entgegnete er, ohne meine Frage direkt zu beantworten. »Wenn wir diese Belagerung überleben und du mit dem König nach Outremer reist, wirst du viele solche Klingen sehen – vielleicht mehr, als dir lieb ist. In der großen Armee des Feldherrn, den ihr Christen Saladin nennt, ist das eine gebräuchliche Waffe.«
    Ich fragte erneut und sah ihn dabei direkt an: »Aber woher habt Ihr sie?«
    Er seufzte. »Was glaubst du, woher ich stamme, Alan?«
    »Na, aus York natürlich. Allerdings habe ich gehört, dass Ihr auch ein Haus in Nottingham besitzt.«
    »Sieh dir meine Haut an, meine Augen, mein Haar – sehe ich so aus, als käme ich aus dem nördlichen England?«, fragte er.
    »Nun ja, Ihr seid Jude«, entgegnete ich im Hinblick auf seinen haselnussbraunen Teint und die mitternachtsschwarzen Augen. »Also nehme ich an, dass Eure Vorfahren irgendwann aus dem Heiligen Land gekommen sind.«
    »Sehe ich denn diesen anderen Leuten ähnlich?« Er wies auf die Juden, die neben uns an der Brustwehr standen.
    »Natürlich, nun ja, ein wenig … also, eigentlich nicht.« Ich konnte nicht fassen, dass mir das nie aufgefallen war, aber Reuben war tatsächlich viel dunkler als all die anderen Juden. Einige der Armbrustschützen auf dem Dach hatten rotblondes Haar, manche sogar blaue Augen.
    »Wir alle sind Kinder Israels«, sagte Reuben, »aber diese guten Leute kommen aus Nordfrankreich, wo ihre Familien schon seit vielen Generationen lebten, ehe sie hierher nach England übersiedelten.«
    »Ihr
kommt
also aus Outremer?«, fragte ich fasziniert. Ich hatte noch nie über Reubens Herkunft nachgedacht – für mich war er einfach Robins Freund gewesen, der Jude, der Kaufmann und Geldverleiher aus York. Dass er aus Outremer kam, wo Jesu gesegnete Füße den Boden berührt hatten, aus dem Heiligen Land von Johannes dem Täufer und Moses, von König David, Simson und Delila und all jenen anderen Gestalten aus der Bibel … das erschien mir unglaublich märchenhaft und geheimnisvoll.
    »Ich gehöre zu den Temanim, den Juden aus dem fernen Süden. Ich komme aus einem Land weit jenseits von Outremer, welches die Araber al-Yaman nennen – einst war es als Reich der Königin von Saba bekannt«, erklärte er nicht ohne Stolz.
    Das kam mir sogar noch sagenhafter vor. Jenseits von Outremer? Ebenso gut hätte er mir sagen können, er stamme vom Mond. Tuck hatte mir die Geschichte von König Salomo und der Königin von Saba erzählt, doch für mich hatte all das in so ferner Vergangenheit, so weit fort gelegen. Eine Legende. Ich fühlte mich, als stünde ich plötzlich einem Einhorn gegenüber.
    »Wie ist es da – in al-Yaman?«, fragte ich, wobei ich über den fremdartigen Namen stolperte. Aber ich stellte mir ein wohlduftendes Land vor, in dem Flüsse aus Wein strömten, Edelsteine wie Blumen aus der Erde sprossen und süße Kuchen an den Bäumen wuchsen.
    »Es besteht hauptsächlich aus Wüste, aus Sand und Fels und erbarmungsloser Sonne. Aber in gewisser Weise ist es meine Heimat, könnte man sagen. Oder wäre es, wenn noch

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