Der Kreuzfahrer
irgendjemand von meiner Familie lebte.«
Nun sagte ich nichts mehr, sondern starrte ihn nur an und drängte ihn stumm, mir diese Geschichte zu erzählen. Ich lauschte quasi mit den Augen. Er lächelte mich erneut an und bedeutete mir mit einer eleganten Handbewegung, dass wir uns setzen sollten. Er ließ sich mit dem Rücken an die Brüstung gelehnt nieder, legte seinen prachtvollen Säbel quer über die Knie und begann zu erzählen.
»Mein Vater, möge seine Seele in Gott ruhen, war ein Waffenschmied. Er hat diese Klinge hier gefertigt«, sagte er und legte eine Hand ehrfurchtsvoll auf die reichverzierte, mit Silber ziselierte Scheide. »Unsere Familie war wohlhabend, die Geschäfte liefen sehr gut, und zwischen den Juden und Arabern in unserer Stadt ging es meist friedlich zu. Ich wurde von den besten Lehrern, die mein Vater sich leisten konnte, in den Kampfkünsten ausgebildet und lernte Sprachen – Griechisch und Latein – ebenso wie Geschichte, Philosophie, ein wenig Medizin und höfische Manieren. Ich war glücklich. Der Traum meines Vaters war es, dass ich ein vornehmer Herr werden würde, ein Dichter vielleicht, oder Musiker wie du, Alan – kein Handwerker, kein Waffenschmied wie er selbst, der den lieben langen Tag in einer Lederschürze an der Esse schwitzt. Mit dieser Vorstellung war ich zufrieden. Ich besuchte die besten Gesellschaften, verkehrte mit den Söhnen anderer reicher Männer, und es wurde von einer Heirat mit der Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns aus einem Nachbarort gesprochen. Das war ein sehr schönes Leben.« Er hielt inne, schloss die Augen und schien einen Moment lang dieses Glück seiner Jugend zu schmecken. Dann fuhr er fort: »Als ich sechzehn war, kam ein moslemischer Wanderprediger in unsere Stadt. Er war in Lumpen gekleidet, doch seine Augen glühten vor Inbrunst, und er sprach sehr gewandt vor den Gläubigen in der örtlichen Moschee. Seine Predigten galten bald als unvergleichlich, und die Leute kamen von weit her, um seinen Worten zu lauschen. Er sei vom Propheten selbst beseelt, hieß es. Er predigte jedoch die Reinheit. Nur indem er sich rein hielt, sagte er, könne ein Moslem am Ende seines Lebens ins Paradies gelangen. Nur indem er ein gottgefälliges Leben führte und alles Unreine mied, könne ein wahrhaft gläubiger Moslem Gott angemessen ehren. Alles, was unrein war, müsse hinweggefegt und verbannt werden, und wenn das nicht möglich sei, so müsse man es vernichten. Und wir Juden, behauptete dieser sogenannte heilige Mann, seien unrein.«
Allmählich erkannte ich, welchen Verlauf diese Geschichte nehmen musste. Tiefe Bitterkeit schwang in Reubens Stimme mit, und ich dachte an jenen Abend, als Robin und ich ihn aufgesucht hatten und im Garten von einem Wurfmesser empfangen worden waren. Doch ich verhielt mich still und wartete darauf, dass Reuben fortfuhr.
»Anfangs predigte er nur, dass man Juden meiden solle, doch in unserem Städtchen hatten wir seit vielen hundert Jahren friedlich zusammengelebt. Juden wohnten Tür an Tür mit Moslems, wir luden uns oft gegenseitig zum Essen ein und achteten einander, unsere Kinder spielten zusammen auf der Straße. Als der Prediger sah, dass die Mehrheit seiner Schäflein seiner Forderung nicht nachkam, begann er, zu den jungen moslemischen Männern im Ort zu sprechen. Er traf sie nur nachts, predigte beinahe heimlich und erzählte ihnen, es sei ihre heilige Pflicht, die Stadt von Juden zu säubern. Er nannte das
Dschihad.
« Reuben spie das Wort aus, als schmeckte es wie Gift auf seiner Zunge.
»Die meisten jungen Männer wandten sich bald wieder von diesem Mullah ab. Trotz seiner Redegewandtheit war er offensichtlich verrückt: Wie sollte man die Stadt von einem Viertel ihrer Bevölkerung säubern? Juden gehörten zum Leben, zu den Fundamenten dieses Ortes, und so war es schon immer gewesen. Doch einige der jungen Männer – die Ungestümen, die Unglücklichen, die verlorenen Seelen – hörten auf ihn. Und sie begannen zu hassen. Eines Nachts kam eine Bande von vielleicht fünfzehn oder zwanzig dieser jungen Männer zu unserem Haus. Sie hatten Haschisch zu sich genommen und vielleicht auch Alkohol getrunken, und sie setzten unser Haus in Brand und ermordeten meine Eltern, als die sie aufhalten wollten. Mein jüngerer Bruder nahm den Kampf gegen sie auf und tötete zwei, ehe er überwältigt und umgebracht wurde. Sie brannten auch andere jüdische Häuser nieder, und in jener schrecklichen Nacht wurden viele aus
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