Der Kreuzfahrer
Schwiegertochter Marie ist verliebt. Sie singt, während sie die Hühner draußen auf dem Hof füttert, heute Morgen hat sie mir einen zweiten Löffel Honig zu meinem Haferbrei gegeben, und als sie heute Abend vor dem Zubettgehen meinen Becher warmes Bier brachte, hat sie mir mit einer so seltenen Geste der Zärtlichkeit das dünne graue Haar aus der Stirn gestrichen. Ihre Augen glänzen geradezu heiter, ihre Wangen sind rosig, und sie lacht oft grundlos. Manchmal tanzt sie ein paar Schritte und schwingt dabei fröhlich die Röcke, wenn sie glaubt, niemand könne sie sehen.
Das Objekt ihrer Zuneigung? Osric. Ihr entfernter Verwandter, mein rundlicher Gutsverwalter, hat nach mehreren Wochen so linkischen Werbens, dass es für einen alten Mann beinahe schmerzlich anzusehen war, ihr Herz für sich erwärmt. Schließlich hat sie seinen schwerfälligen Avancen nachgegeben, und nun ist sie in das kleine Haus auf der anderen Seite des Hofs gezogen, wo er mit seinen Söhnen wohnt. Man spricht von einer Hochzeit im Frühling. Ich freue mich für sie, obgleich ich nicht nachvollziehen kann, warum sie ihn liebt: Er ist ein hässliches Arbeitstier, ein gewissenhafter Trottel, in dem der letzte Funken Jugend längst erloschen ist. Von allen Menschen auf der Erde wäre er einer der Letzten, mit dem ich die mir verbleibenden Jahre verbringen möchte, während sie, obwohl nur fünf Jahre jünger als er, noch die Gestalt und den Geist einer kecken jungen Maid besitzt. Aber sie liebt ihn tatsächlich. Was mag ihre Leidenschaft nur geweckt haben?
»Er ist ein guter Mann, Alan, deshalb habe ich mich dafür entschieden, ihn zu heiraten. Er ist gefestigt, aufrichtig und fürsorglich, und er wird mich nie verlassen«, erklärte Marie mir mit einem selbstzufriedenen Lächeln. »Und ich wünsche mir, dass auch du ihn liebgewinnst. Er hat Westbury mit seiner harten Arbeit gerettet. Du musst versuchen, ihn als deinen Sohn zu betrachten.«
Das halte ich nun für unwahrscheinlich. Doch um Maries willen werde ich mich bemühen, ihm gegenüber ein wenig freundlicher zu sein.
Weihnachten rückt heran, die Zeit der Völlerei und Frivolität. Wir haben die meisten Schweine geschlachtet und große, runde Schinken, Speckseiten und lange Ketten dicker Würste an einem Eisenring über das Feuer in der Mitte der Halle gehängt, um sie zu trocknen und zu räuchern. Feuerholz haben wir mehr als genug für den Winter – Osric und seine Söhne haben eine Woche lang Totholz aus einem Wäldchen am Fluss geräumt und von den Ochsen bis zur Halle ziehen lassen. In der Speisekammer sind Fässer mit gutem Wein aus Aquitanien gestapelt, und Marie hat den Brotofen draußen auf dem Hof für riesige Wildpasteten und fettes, süßes Gebäck angeheizt. Vergangene Woche hatten wir den ersten Schnee, und es wird noch mehr schneien. Seltsam vielleicht, doch ich freue mich auf einen ordentlichen Schneesturm, während ich in meiner Halle gemütlich am Feuer sitze, mit reichlich zu essen und zu trinken.
Nur eine Wolke verdüstert mir den Horizont: Osric hat mir berichtet, dass Dickon, mein alter Schweinehirt, mich schon seit langem bestiehlt. Offenbar nimmt er ein paar Wochen, nachdem die Sauen geferkelt haben, eines der Kleinen mit und verkauft es; wenn eins schon alt genug ist, mästet er es auch für seinen eigenen Kochtopf. Er behauptet immer, die Sau habe sich im Schlaf auf ihre Jungen gelegt und ein Ferkel sei gestorben, und da meine Sauen zwischen acht und sechzehn Ferkel pro Wurf hervorbringen, ist dieser Diebstahl bisher niemandem aufgefallen. Dickon, dieser einarmige alte Narr, hat sich im Wirtshaus betrunken damit gebrüstet, und Osric hat es gehört. Jetzt will Osric zwölf Männer aus dem Dorf als Schöffen einsetzen und Dickon zum nächsten Gerichtstag kurz vor Weihnachten mir, dem Grundherrn, wegen seiner Verbrechen vorführen.
Das bekümmert mich: Bietet denn ein Ferkel hier und da wirklich Anlass zu solcher Aufregung? Ich habe sie bisher nicht vermisst, und ich habe immer noch genug Zuchtsauen und fast mehr Schweinefleisch, als ich brauchen kann. Marie behauptet, es ginge dabei ums Prinzip, ich sei zu nachsichtig mit den Leibeigenen, und ich hätte Westbury in den Jahren vor Osrics Anstellung verkommen lassen. Die Leibeigenen, sagt sie, müssten mich als ihren Grundherrn fürchten und respektieren – wie sonst sollte man sie daran hindern, mich auszunehmen und sich dabei ins Fäustchen zu lachen? Osric ist der Ansicht, dass ich Dickon wegen eines
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