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Der Kreuzfahrer

Der Kreuzfahrer

Titel: Der Kreuzfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angus Donald
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beiseite und gab Ghost die Sporen. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge zu Ruth und hieb verzweifelt um mich, während ich mein Pferd vorantrieb. Aber Ruth war in dem wimmelnden Mob verschwunden. Ich sah, wie Hände sich hoben, sah Stahl darin blinken, und ich glaubte das grausige Knirschen zu hören, mit dem die Klingen in ihren lieblichen Leib fuhren.
    Plötzlich hatte ich wieder freien Raum um mich, der nächste Soldat war zehn Schritt von mir entfernt. Ich wandte den Kopf und sah, dass auch Reuben und Robin sich freigekämpft hatten und auf das offene Tor zuhielten. Ich wollte ihnen folgen, doch da griff mich ein Reiter von rechts an – es war Sir Richard Malbête. Mit verzerrtem Grinsen schwang er das Schwert nach meinem Kopf, und instinktiv parierte ich den Hieb, verdrehte das Handgelenk, verwandelte die Parade in einen Schwerthieb und ließ die Schneide in sein Gesicht fahren. Das war kein tödlicher Hieb, doch darin lag die ganze Wucht einer rasenden Wut, wie ich sie noch nie zuvor verspürt hatte. Blut spritzte auf, und mit einem gedämpften Aufschrei stürzte Sir Richard beinahe aus dem Sattel. Aber mir blieb keine Zeit, Ghost zu wenden und ihm den Rest zu geben. Ein Dutzend Wachen in Malbêtes scharlachroten und himmelblauen Waffenröcken rannte auf mich zu. Mit einem letzten verzweifelten Blick auf Ruths Pferd, das allein und mit hängendem Kopf dastand, als trauerte es um seine Reiterin, trieb ich Ghost zum Galopp und jagte zum Tor, in die Freiheit.
     
    Ich schwöre, wenn ich Robin am Burgtor von York Castle eingeholt hätte, dann hätte ich ihn getötet – oder es zumindest versucht. Ich schluchzte wie ein kleines Kind, während ich durch das Tor fegte, als sei der Leibhaftige hinter mir her. Der Anblick, wie Ruth in diesem Meer aus gierigen Händen und hasserfüllten Gesichtern unterging, ließ mich nicht los. Doch ich wischte die Tränen grob mit dem Ärmel weg – jetzt war keine Zeit für Schwäche – und schaffte es über die Brücke, die den Foss überspannte. Dahinter ging es rechts zum Walmgate, und ich folgte der geraden Straße bis zum Tor. Vor mir, mit viel zu großem Vorsprung, galoppierten Robin und Reuben, die am Walmgate nicht innehielten, sondern einfach durchpreschten, vorbei an zwei verblüfften Wachen und hinaus aufs offene Land jenseits der Stadtmauer.
    Warum hatte er das getan? Immer wieder fragte ich mich, wie Robin diese Wahl hatte treffen können. Wie hatte er sich eben im Burghof dafür entscheiden können, das Leben eines Mannes zu retten, eines sehr geschickten und tödlichen Kämpfers obendrein, und dafür ein liebliches, unschuldiges junges Mädchen zu opfern? Ich wusste natürlich, warum – tief im Herzen wusste ich, weshalb Robin so gehandelt hatte. Robin brauchte Reuben für seine geldgierigen Pläne, wie immer die auch aussehen mochten. Reuben war sein Weg, an Geld zu kommen, während das Mädchen für ihn wertlos war. Ich konnte es nicht fassen. Ich hatte Robin während meiner Zeit in seinen Diensten schreckliche Dinge tun sehen. Er hatte einem widerlichen heidnischen Gott ein Menschenopfer darbringen lassen, er hatte einem Mann Arme und Beine abgehackt, um Leute einzuschüchtern, aber diesmal … diesmal hatte er eine unschuldige junge Frau bewusst geopfert, ja ermordet, könnte man beinahe sagen, deren einziges Verbrechen darin bestanden hatte, Jüdin zu sein.
    Als ich Robin und Reuben einholte und wir in gemächlichem Galopp weiterritten, wollte ich mit keinem von beiden sprechen. Offenbar war ihnen ebenso wenig nach einer Unterhaltung zumute. Reuben weinte still vor sich hin. Robin vergewisserte sich, dass wir nicht schwer verletzt waren – ich hatte eine kleine Schnittwunde an der Hand, konnte mich jedoch nicht erinnern, wer sie mir zugefügt hatte, und Reuben schien die Stichwunde in seiner Wade gar nicht zu spüren. Danach wechselten wir kein Wort mehr, sondern ritten schweigend in Richtung Kirkton, die Köpfe vor Scham und Trauer gesenkt und jeder in seine eigenen trübseligen Gedanken versunken.
    Am nächsten Morgen, nach einer kalten, stummen Nacht unter dem Sternenhimmel, trabten wir die Straße nach Kirkton weiter entlang, die nördlich oberhalb des wunderschönen Tals von Locksley verläuft. Ich hörte das Glockengeläut unserer kleinen St.-Nicholas-Kirche über die friedvollen, sanften Hügel hallen. Und mir fiel ein, dass heute Ostersonntag war: der heiligste Tag des Jahres.

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