Der Kreuzfahrer
erholen, sagte jedoch nichts. Ich glaube, in diesem Augenblick konnte er gar nicht sprechen. Er war eben vom Rand eines Höllenschlundes zurückgerissen worden, aus einem Geisteszustand, den ich mir nicht einmal vorstellen mag. Robin spürte das und hatte sich sogleich wieder im Griff. Er umfing seinen Freund und führte die große, dünne Gestalt, die keinen Widerstand mehr leistete, weg von dieser Schlachtbank und die Treppe hinauf. Ich folgte den beiden mit Ruth, die sich weinend und zitternd an mich klammerte.
Wir ließen uns in einem Lagerraum im zweiten Stock nieder, und Ruth wickelte sich in meinen warmen grünen Umhang. Reuben saß da, das Gesicht in den Händen vergraben, und weinte still vor sich hin. Robin und ich hielten Wache – ich weiß gar nicht, warum, denn es befand sich niemand am Turm, der uns angreifen konnte, und wenn die christlichen Belagerer gewusst hätten, was hier drin geschah, hätten sie den Turm jederzeit mit Leichtigkeit einnehmen können. Doch vielleicht waren wir nicht nur vor menschlichen Feinden auf der Hut. Der Teufel schlich in jener Nacht durch den Turm, davon bin ich überzeugt. Das Weinen und Wehklagen aus dieser stinkenden Halle voller Blut setzte immer wieder von neuem ein. Und irgendwann blieb es still.
Lange nach Mitternacht braute sich ein Unwetter zusammen, und Blitze zuckten über den Himmel. Der krachende Donner über uns war ohrenbetäubend. Es regnete, als schleuderte der Himmel Speere herab. Da wusste ich, dass dies die Strafe Gottes war. Er zürnte, weil seine christlichen Diener den Tod so vieler Juden herbeigeführt hatten, und einen so grausigen Tod obendrein. Ich zitterte in einer alten Decke, während Wasser durch die löchrige Decke tröpfelte, und sah mir die zornige Rache des Allmächtigen durch ein schmales Fenster an.
Im Morgengrauen steckten wir den Turm in Brand. An fünf verschiedenen Stellen brannten wir Zunder und Holzspäne an, entzündeten gleichsam einen Scheiterhaufen für die jüdischen Toten. Dann ritten wir durch das verbeulte eisenbeschlagene Tor hinaus, unter einer Rauchwolke und mit einem schmuddeligen, ehemals weißen Hemd an einem Spieß. Robin, ich, Reuben und Ruth und ein sehr junges jüdisches Ehepaar mit einem Säugling – sie hatten sich in der Vorratskammer versteckt. Ich war froh, diesen Ort blutigen Grauens zurückzulassen, obwohl wir hinausritten, um uns unseren Feinden zu ergeben. Ich passierte die Tür als Letzter, und als ich einen Blick zurück auf den Schauplatz des entsetzlichen Geschehens warf, sah ich durch den dichter werdenden Rauch Joshe zusammengesunken in einer dunklen Ecke sitzen. Der Blick seiner gütigen, kummervollen Augen schien auf mich gerichtet. Ich zügelte Ghost und wollte schon Robin zurufen, er solle warten, als ich erkannte, dass der alte Mann unnatürlich still saß und sein Bart sowie die gesamte Brust seines Gewandes mit schwärzlichem Blut getränkt waren. Ich starrte noch einen Moment lang in seine blinden Augen, dann wendete ich Ghost und lenkte ihn die steile Holztreppe hinunter auf meine christlichen Brüder zu.
Bei unserem Erscheinen wurde im Burghof Alarm geblasen, und Waffenknechte kamen herbeigerannt, während wir über die Rampe auf den Hof trabten. Robin führte unser klägliches Grüppchen hoch erhobenen Hauptes an. Mit seinem hellbraunen Haar, den silbrigen Augen und dem fein gearbeiteten Kettenhemd sah er ganz und gar nicht wie ein belagerter und besiegter Jude aus, und genau das war vermutlich seine Absicht. Ich ritt ganz hinten, beobachtete die zusammenströmenden Soldaten und bemühte mich, keine Angst zu zeigen. Wir waren alle bewaffnet, entgegen Sir Johns ausdrücklicher Forderung. Doch Robin hatte uns eingeschärft, dass wir uns im Falle von Schwierigkeiten zum offenen Burgtor durchschlagen sollten, das zur Brücke über den Foss führte. Außerdem hätte ich aus keinem Grund dieser hässlichen Welt den Turm ohne meine Waffen verlassen. Ich war fest entschlossen, zu kämpfen und auch zu sterben, wenn es sein musste, um Ruth zu beschützen. Sie hatte noch immer kein Wort gesprochen, seit sie in der vergangenen Nacht beinahe von der Hand ihres Vaters gestorben war. Ich konnte Reuben nicht einmal ansehen.
»Ich bin der Earl of Locksley, und ich wünsche mit eurem Kommandanten zu sprechen – Sir John Marshal«, verkündete Robin in seinem hochmütigsten Tonfall dem beeindruckten Kreis von Fußsoldaten, der sich mitten auf dem Burghof um uns geschlossen hatte. Die Männer
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