Der Kreuzfahrer
krankes Kätzchen. Er ließ sich jedoch nicht davon abhalten, aufs Pferd zu steigen, und sah aus wie ein drei Tage alter Leichnam, als er an der gesamten Kolonne entlangritt, um den Männern zu zeigen, dass er wohlauf war. Sie jubelten ihm zu, Gott schütze sie, und Robin schaffte es gerade so, mit dem bandagierten Arm sein Schwert zu heben, um den Salut zu erwidern.
Während wir das Tal der Saône entlang auf Lyon zuritten, unmittelbar an der Grenze des Heiligen Römischen Reiches, wurde deutlich, dass wir nicht die erste große Streitmacht waren, die in jüngster Zeit hier durchgezogen war. König Richard und König Philip hatte ihre Truppen vor ein paar Wochen hundertzwanzig Meilen nördlich von uns in Vézelay zusammengeführt und diese riesige Armee nach Lyon marschieren lassen – eine prachtvolle Zurschaustellung ihrer vereinten militärischen Macht. Die Straße war staubig und zerfurcht, das Gras daneben niedergetrampelt, die Böschungen mit dem Unrat der vorübergezogenen Menschenmasse übersät: zerbrochene Becher, Knochen und Speisereste, weggeworfene Stiefel, Gugeln, Lumpen, ja sogar ein paar gute Decken waren am Straßenrand liegengeblieben, nachdem die menschliche Flut vorbeigewalzt war.
Und dann, eines Tages, erreichten wir eine Anhöhe, und ich blickte auf die größte Ansammlung von Leuten, die ich je gesehen hatte. Atemlos stand ich da, fassungslos, dass es überhaupt so viele Menschen auf der Welt geben konnte, geschweige denn alle auf einem so kleinen Stück Land zusammengedrängt. Zwischen den Flussläufen der Saône und der mächtigen Rhône war der Ritterstand Westeuropas versammelt. Mehr als zwanzigtausend Seelen – die Einwohnerschaft einer großen Stadt – lagerten dort in einem gigantischen Gewimmel aus bunten Zelten, blinkendem Stahl, Matsch und summender Betriebsamkeit, beinahe so weit das Auge reichte. Pferde in langen Reihen, flatternde Banner, glänzende Schilde, provisorische Bauten aus Holz und Grassoden, leuchtend gestreifte Pavillons für die Ritter. Schmiede hämmerten unter Segeltuchdächern Helme zurecht, Barbiere zogen Zähne, Pagen eilten geschäftig umher, Herolde in mehrfarbigen Röcken kündeten ihre Herren mit lauten Trompetenstößen an. Am Rand des Lagers fand gerade ein Pferderennen statt, beobachtet von vornehm gekleideten Damen und Herren. Ritter in voller Rüstung übten sich gegeneinander im Kampf, Soldaten saßen vor provisorischen Schenken in der Sommersonne und tranken, Huren schlenderten in ihrem grellen Putz umher auf der Suche nach Freiern, Priester predigten vor kleinen Versammlungen von Gläubigen, Bettelmönche in braunen Kutten sammelten Almosen für die Armen, Hunde bellten, Bettler jammerten, Kinder spielten um die in hohen Kegeln aneinandergelehnten Spieße Fangen …
Und wir näherten uns der größten, mächtigsten Armee, die die Welt je gesehen hatte. Gegen diese gewaltige versammelte Macht waren Saladin und seine ungläubigen Sarazenenkrieger gewiss dem Untergang geweiht, und Jerusalem, die heilige Stätte des Leiden Christi, würde bald wieder in den Händen der Christenheit sein.
Kapitel 8
D ie Straße von Messina war ein Tuch aus reinem dunkelblauem Wasser, nur von wenigen launischen, weiß gekrönten Wellen gekräuselt. Die Seeleute hatten mir erzählt, dass in alten Zeiten zwei Ungeheuer namens Scylla und Charybdis hier gehaust haben sollen, doch in den vergangenen zwei Wochen hatte ich von ihnen viele solcher lächerlichen Geschichten gehört. Und diese Meeresenge erschien mir viel zu harmlos für einen so üblen Ruf. Die späte Septembersonne spendete freundliche Wärme, am Himmel zeigte sich keine einzige Wolke, und ein frischer Wind schob unsere gewaltige Flotte vom angestoßenen Zeh Italiens aus zügig über das Wasser auf die goldene Insel Sizilien zu – reiches Land voll Orangen und Zitronen, Getreide und Zuckerrohr, Land normannischer Könige und griechischer Kaufleute, sarazenischer Händler und jüdischer Geldverleiher, katholischer Priester und orthodoxer Mönche, die alle Seite an Seite in einer bunten Mischung der Religionen und Völker lebten. In Sizilien begann der fabelhafte Orient, und unsere königlichen Herren hatten es als den eigentlichen Ausgangspunkt unserer großen und ehrenvollen Expedition ausgewählt.
König Richards Streitmacht – mehr als zehntausend Soldaten und Seeleute, und noch weitere Männer sollten in den kommenden Wochen nachfolgen – wurde auf eine Armada von über hundertdreißig
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