Der Kreuzritter - Das Erbe - Guillou, J: Kreuzritter - Das Erbe - Arvet efter Arn
die Leibeigene versuche, ihn durch eine falsche Anklage vorsätzlich ins Unglück zu stürzen. Das Wort einer Leibeigenen besäße jedoch einem freien Mann gegenüber kein Gewicht. Da diese Sache jedoch seine Ehre befleckt habe, verlange er ein Gottesurteil. Er wolle sich auf dem Thing hängen lassen, wenn das Urteil zu seinem Nachteil ausfiele. Einen so edlen Vorschlag hatte man ihm unmöglich abschlagen können.
Wenn Yrsa unschuldig und Junker Svante schuldig war, würde Gott, der Herr, Yrsa bei der schweren Prüfung, die ihr jetzt bevorstand, sicher beistehen. Wenn Yrsa vier glühende Eisenstäbe auf ihren nackten Armen zehn Schritte weit tragen konnte, ohne irgendwelche Verbrennungen davonzutragen, dann hätte der Allmächtige damit gezeigt, dass sie unschuldig war. In diesem Fall hätte Junker Svante sein Leben sofort verwirkt, und man würde ihn wie einen gemeinen Dieb aufknüpfen.
Wenn Gott jedoch zeigte, dass Yrsa schuldig war, würde sie als überführte Diebin ihr Leben verlieren. Ihr Vater und Bruder würden als geringer Ausgleich für die Unbequemlichkeit, die Junker Svante erlitten hatte, in seinen Besitz übergehen. Somit wäre er für alle Zeit von der falschen Anklage reingewaschen.
Birger war wie angewurzelt stehen geblieben, als der Lagmann die Sache vorgetragen hatte, die aller Vernunft nach nur auf eine Art und Weise enden konnte.
»Es heißt«, flüsterte Ritter Bengt, »dass es in früheren Zeiten Angeklagte gegeben hat, die diese Probe überstanden haben. Hier haben wir es ja mit einer Unschuldigen zu tun, da uns allen klar ist, wie alles zusammenhängt. Sieh nur, wie bleich dieser Svante ist und wie er zittert. Er scheint doch eine ziemliche Angst vor Gottes gutem Willen zu haben.«
»Ja, er ist der Schuldige, daran besteht kein Zweifel«, erwiderte Birger flüsternd. »Wenn der Herrgott, die edle Gottesmutter, die Erzengel oder die Heiligen sich je einer Unschuldigen erbarmt haben, so ist die Stunde dafür jetzt gekommen! Lasst uns für sie beten!«
Birger schloss die Augen und betete zur Jungfrau Maria, dass sie sich erbarme und mit einem Wunder Gerechtigkeit schaffe, wo die Gesetze der Erde nicht ausreichten.
Als er nach seinem Gebet wieder aufschaute, stand Ritter Bengt ebenso reglos da wie zuvor. Er schien Birgers Aufforderung, für die Unschuldige zu beten, nicht befolgt zu haben.
Sie selbst betete jetzt mit größter Inbrunst, nachdem man die Fesseln an ihren nackten Armen gelöst hatte und sie zu dem glühenden Eisen führte. Alle Blicke folgten ihr auf diesem Weg. Nur Birger betrachtete eingehend den Dieb Svante, der auf die Knie gefallen war und ebenso inbrünstig betete wie Yrsa. Birger dachte, dass er den Anblick nie vergessen würde: Ein Dieb, der Gott darum bat, eine Unschuldige doppelt zu bestrafen, damit ein Schuldiger straffrei blieb.
Man führte sie zu den Blasebälgen und zu dem Gemeindepfarrer, der Gebete sprach. Die beiden Schmiede hatten die Eisenstangen inzwischen so sehr zum Glühen gebracht, dass sie weiß wurden. Yrsa ließ sich auf die Knie sinken und betete erneut, während aus den hinteren Zuschauerreihen Hohn und Spott zu vernehmen war.
Dann erhob sie sich mit brennendem Blick und großer Entschlossenheit. Sie hatte fast ein Lächeln der Gewissheit im Gesicht, als sie furchtlos ihre nackten Arme ausstreckte, um die Gottesbürde entgegenzunehmen.
Die Schmiede griffen mit zwei großen Zangen zu und hatten etwas Mühe damit, ihr die vier glühenden Eisenstangen gleichzeitig in die Arme zu legen. Da wendete sie lächelnd den Blick zum Himmel, und das Eisen schien ihr zunächst nichts anhaben zu können.
Sie begann zu gehen, erst aufrecht, dann recht bald schwankend. Es war ein zischendes Geräusch zu vernehmen. Das Fleisch ihrer Arme briet. Dann stolperte sie und fiel schreiend hin. Anschließend schrie sie noch lauter und verfluchte den Gott, der sie anstelle eines einfachen Diebes
sterben ließ. Ihre folgenden Worte waren schon nicht mehr zu verstehen. Vier kräftige Männer eilten auf sie zu und hielten höhnisch grinsend einen dünnen Riemen aus in Salzwasser getränktem Kuhleder in die Höhe. Sie banden ihr den Riemen um den Hals und schleiften die vor Schmerz Brüllende zum Galgenbaum, an dem bereits die beiden Diebe im Wind baumelten. Sie warfen die Leine über einen Ast und begannen langsam, sie hochzuziehen. Sie zappelte und schrie, was die Heiterkeit der Thingmänner nur noch erhöhte. Verzweifelt versuchte sie ihre Finger zwischen Lederriemen
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