Der Kreuzritter - Das Erbe - Guillou, J: Kreuzritter - Das Erbe - Arvet efter Arn
und Hals zu schieben und kratzte sich blutig, während die Leine immer weiter gespannt wurde, bis sie schließlich auf den Zehenspitzen balancierte. Ihre Füße waren nackt und schmutzig. So ließ man sie eine Weile stehen und zog sie dann hoch.
Sie starb langsam, und als sie schließlich ganz still hing, den einen verbrannten Arm herabhängend, den anderen mit einem Finger in der Lederschlinge um den Hals feststeckend, begann sich die Versammlung zu zerstreuen. Svantes Verwandte traten auf ihn zu und umarmten ihn. Er besann sich und begann bald ebenfalls über das lustige Gezappel, das die diebische Leibeigene dargeboten hatte, zu lachen.
Aber gerade als der Lagmann zur nächsten Sache kommen wollte, schrie jemand laut und schrill und deutete auf den Galgenbaum. Die gehängte Yrsa hatte begonnen sich zu bewegen, als sei sie wieder zum Leben erwacht. Sie zuckte und wand sich mehrmals wie eine Schlange, ehe sie wieder zur Ruhe kam. Einige Männer erblassten, andere meinten, so sei es manchmal bei Gehenkten. Daraufhin ging das Thing zum nächsten Fall über.
Birger stand mit tränenden Augen neben Ritter Bengt, der mit keiner Miene verriet, was er von dieser Sache
hielt. Birgers Tränen galten nicht der gehängten Leibeigenen. Was er nicht verstehen konnte und was seine Tränen hervorrief, war der Umstand, dass Gott einfach zusehen und dieses Unrecht geschehen lassen konnte … abgesehen davon, dass sich die unschuldige Yrsa jetzt ganz sicher im Paradies befand und der äußersten und höchsten Gerechtigkeit teilhaftig wurde. Die würde dem Dieb Svante wohl kaum zuteilwerden. Mit diesem Gedanken konnte er sich leicht abfinden. Aber weshalb hatte Gott nicht mehr Erbarmen mit den Menschen? Warum ließ er sie weiter in Dunkelheit und Unglauben leben?
»Es heißt doch, dass wir Folkunger jetzt die Macht im Reich besäßen«, flüsterte Ritter Bengt plötzlich und riss damit Birger aus seinen Überlegungen über Gottes Unwillen, das Böse zu bestrafen. »Aber wenn das hier die Macht ist, dann ist sie nicht nach meinem Geschmack.«
Ohne seinen Gedanken weiter zu erklären, marschierte Ritter Bengt daraufhin mit großen Schritten in die Mitte des Thingplatzes, um besser hören zu können oder vielleicht auch, weil er glaubte, dass jetzt seine Sache verhandelt würde. Birger folgte ihm zögernd, baute sich dann neben ihm auf und verschränkte nach Bengts Vorbild die Arme vor der Brust.
Lagmann Rudrik schien von dem munteren Gezappel, das Ylva dargeboten hatte, so gute Laune bekommen zu haben, dass er jetzt zu einer Sache überging, die nicht den geringfügigen Eigentumsstreit Ritter Bengts betraf, sondern ebenso lustig zu werden versprach wie der letzte Fall, so sagte er zumindest.
Hierbei ging es um einen Streit zwischen zwei freien Bauern gleichen Ranges. Der eine hieß Guttorm von Högesta Gård, der andere Härje Lusing von Älvadans Gård. Sie stritten um ein Grundstück, das auf der Grenze zwischen
den Höfen lag. Sie hatten sich nicht im Guten einigen können, und jetzt war eine Eidesabnahme erforderlich.
Während sich die Bauern und Freien nach vorn drängten, entdeckte Bengt plötzlich im äußersten Kreis der Zuschauer einen Mann. Zornig zeigte er ihn Birger.
»Der da«, sagte er leise und voller Entrüstung, »diesen Mann dort drüben in dem verschlissenen blauen Umhang, aus dem fast alle Farbe gewichen ist, den kennen wir, zumindest ich. Er heißt Erik Stensson und ist Folkunger wie wir, aber er ist arm und besitzt kein Land. Und was schlimmer ist: Er ist Forsviker!«
»Warum gesellt er sich dann nicht zu uns, zu seinen Verwandten und Brüdern?«, wollte Birger erstaunt wissen.
»Weil er ein ehrloser Lump ist«, murmelte Bengt. »Ich kann mich noch gut an ihn erinnern. Ich habe ihm das meiste seiner Kenntnisse beigebracht. Er ist etwas älter als du, deswegen könnt ihr euch vielleicht aneinander erinnern. Und jetzt will er Unehre über sein Schwert bringen!«
»Das werden wir doch wohl kaum zulassen können!«, entgegnete Birger mit einer plötzlichen Heftigkeit, die Bengt zum Lachen brachte, und er lachte nicht oft.
»Wir werden sehen, was wir zulassen können«, meinte er immer noch lächelnd und legte seinem hochgeborenen jungen Verwandten beschützend einen Arm um die Schultern.
Die Anhörung in Sachen Besitzstreitigkeit nahm ihren Lauf, und nach erfolgter Eidesabnahme hatte es den Anschein, als würde das Urteil des Things zu Härje Lusings Gunsten ausfallen. Aber da hob sein Widersacher Guttorm
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