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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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hat, hier zu sein, hat er darauf bestanden, das Regiment zu begleiten.
    »Wir dürfen ihnen keine Zeit lassen, zu entkommen«, murmelt Oberst Moreira César. Das haben ihn seine Offiziere schon oft sagen hören, seit sie sich in Bahia eingeschifft haben. Trotz der Hitze schwitzt er nicht. Sein kleines, blasses Gesicht mit den intensiv und manchmal besessen blickenden Augen lächelt selten; seine Stimme kennt keine Nuancen: sie ist eintönig, dünn, wie am kurzen Zügel geführt, der für nervöse Pferde empfohlen wird. »Sobald sie erfahren, daß wir im Anmarsch sind, wird es zum großen Rennen kommen, und der Feldzug ist gescheitert. Das dürfen wir nicht zulassen.« Er blickt wieder auf seine Gefährten, die ihm schweigend zuhören. »Der Süden Brasiliens hat inzwischen begriffen, daß die Republik nicht rückgängig zu machen ist. Das haben wir ihnen beigebracht. Aber hier in Bahia ist noch viel Aristokratie, die sich nicht abfinden will. Vor allem seit dem Tod des Marschalls. Mit einem Zivilisten an der Macht, der keine Ideale hat, meinen sie, sie könnten die Entwicklung zurückdrehen. Sie werden sich so lange nicht geschlagen geben, bis sie eine tüchtige Lektion bekommen. Und das hier ist die Gelegenheit, Senhores.«
    »Sie sind ziemlich eingeschüchtert, Exzellenz«, sagt Cunha Matos. »Daß die Autonomistische Partei die Feierlichkeiten zu unserem Empfang und eine Geldsammlung zur Verteidigung der Republik veranstaltet hat, ist doch der beste Beweis, daß sie den Schwanz eingezogen haben.«
    »Das Meisterstück war der Triumphbogen auf dem Bahnhof in Bahia, auf dem wir als Retter angesprochen wurden«, erinnert Tamarindo. »Ein paar Tage vorher waren sie noch fanatisch gegen ein Eingreifen des Bundesheeres in Bahia, und jetzt streuen sie uns Blumen auf den Weg, und Baron de Canabrava läßt uns ausrichten, er fahre nach Calumbí, um seine Fazenda dem Siebten Regiment zur Verfügung zu stellen.«
    Er lacht vergnügt, doch seine gute Laune springt nicht auf Moreira César über.»Das bedeutet, daß der Baron intelligenter ist als sein Gegenspieler«, sagt er. »Er konnte das Eingreifen Rios bei einem Fall offener Insurrektion nicht verhindern. Also entschied er sich für den Patriotismus, damit ihn die Republikaner nicht in den Schatten stellen. Fürs erste ablenken und täuschen, um dann zu einem neuen Schlag auszuholen. Der Baron kommt aus einer guten Schule, Senhores: der englischen.«
    Pau Seco finden sie leer vor. Keine Menschen, keine Dinge, keine Tiere. Neben dem kahlen Baumstamm, an dem das Fähnchen flattert, das die Vorhut dort zurückgelassen hat, salutieren zwei Soldaten. Moreira César zügelt sein Pferd und läßt den Blick über die Lehmhütten schweifen, in die man durch offenstehende oder ausgerissene Türen hineinschauen kann. Aus einer kommt eine zahnlose Frau heraus, barfüßig, in einem zerlöcherten Kleid, das Stellen dunkler Haut sehen läßt. Zwei rachitische Kinder mit glasigen Augen klammern sich an sie, eines ist nackt, der Bauch aufgebläht. Ängstlich betrachten sie die Soldaten. Vom Pferd herunter beobachtet sie Moreira César: sie sehen wie die verkörperte Schutzlosigkeit aus. Sein Gesicht verzerrt sich in einer Mischung von Traurigkeit, Zorn, Rachsucht. Ohne den Blick abzuwenden, befiehlt er einem seiner Begleiter:
    »Man soll ihnen zu essen geben.« Dann, zu seinen Stellvertretern : »Sehen Sie sich an, in welchem Zustand sie die Leute hier leben lassen.«
    In seiner Stimme zittert etwas und seine Augen blitzen. Spontan zieht er den Degen und hebt ihn an sein Gesicht, als ob er ihn küssen wollte. Und die Korrespondenten, die die Köpfe vorstrecken, sehen, daß der Chef des Siebten Regiments, ehe er weiterreitet, den drei jämmerlichen Einwohnern von Pau Seco jenen Gruß erweist, der bei Paraden der Fahne und höchsten Würdenträgern vorbehalten ist.
    Seit sie ihn neben der traurigen Frau und dem von Geiern zerfleischten Maultierkadaver gefunden hatten, waren schubweise diese unverständlichen Wörter aus seinem Mund gekommen. Sporadisch, heftig, gebrüllt oder gedämpft, geflüstert, verstohlen brachen sie hervor, bei Tag und bei Nacht, underschreckten den Idioten manchmal so, daß er zu zittern begann. Nachdem sie den Rothaarigen berochen hatte, sagte die Bärtige zu Jurema: »Er hat das delirierende Fieber, an dem Dádiva gestorben ist. Er wird den Tag nicht überleben.« Doch er starb nicht, obwohl seine Augen manchmal schon weiß wurden und das Todesröcheln zu kommen

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