Der Krieg am Ende der Welt
schien. Nachdem er bewegungslos gelegen hatte, wälzte er sich wieder und zog Grimassen und stieß diese Wörter hervor, die für sie nur ein leeres Geräusch waren. Manchmal öffnete er die Augen und sah sie verwirrt an. Der Zwerg behauptete, er spreche die Zigeunersprache, und die Bärtige, es höre sich an wie das Latein bei der Messe.
Als Jurema gefragt hatte, ob sie bei ihnen bleiben könne, hatte es ihr die Bärtige erlaubt, vielleicht aus Mitleid, vielleicht aus bloßer Trägheit. Zu viert hatten sie den Ausländer auf den Wagen neben den Korb der Kobra gelegt und waren weitergezogen. Die Neuen brachten ihnen Glück, denn am Abend wurden sie auf dem Gut in Quererá zum Essen eingeladen. Eine kleine Alte blies Rauch auf Galileo Gall, legte ihm Kräuter auf die Wunden, flößte ihm einen Sud ein und sagte, er werde gesunden. In der Nacht unterhielt die Bärtige die Viehtreiber mit der Kobra, der Idiot gab Clownerien zum besten und der Zwerg erzählte Rittergeschichten. Sie setzten die Reise fort, und tatsächlich begann der Ausländer die Bissen, die sie ihm reichten, zu schlucken. Die Bärtige fragte Jurema, ob sie seine Frau sei. Nein, sie war es nicht: er hatte sie in Abwesenheit ihres Mannes entehrt, und was war ihr da übriggeblieben, als mit ihm zu gehen. »Jetzt verstehe ich, warum du traurig bist«, bemerkte der Zwerg mit Sympathie.
Sie zogen nach Norden, offenbar unter einem guten Stern: sie fanden täglich zu essen. Am dritten Tag gaben sie eine Vorstellung auf dem Wochenmarkt einer Siedlung. Den Leuten gefiel der Bart der Bärtigen am besten: wenn sie bezahlten, durften sie daran ziehen, um sich von seiner Echtheit zu überzeugen, und unterderhand auch ihre Brüste berühren, um sich zu vergewissern, daß sie Frau war. Dabei erzählte ihnen der Zwerg ihr Leben: daß sie ein ganz normales Kind gewesen sei, in Ceará, und wie sie zur Familienschande geworden sei, als ihr eines Tages auf Rücken, Armen und Beinen und im GesichtHaare zu wachsen begannen. Gemahlenes Glas habe sie geschluckt, mit dem tollwütige Hunde umgebracht werden, aber sie sei nicht gestorben und so lange aller Gespött geblieben, bis der König des Zirkus, der Zigeuner, gekommen sei und eine Artistin aus ihr gemacht habe. Jurema glaubte, der Zwerg habe das alles erfunden, doch er versicherte ihr, es sei die pure Wahrheit. Manchmal setzten sie sich zusammen und plauderten, und weil der Zwerg freundlich war und sie Vertrauen zu ihm gefaßt hatte, erzählte sie ihm von ihrer Kindheit auf der Fazenda Calumbí und von ihrem Dienst bei der Gattin des Barons de Canabrava, einer sehr schönen und sehr gütigen Frau. Traurig sei, daß Rufino, ihr Mann, statt bei dem Baron zu bleiben, nach Queimadas gezogen sei als Spurenleser, ein abscheulicher Beruf, immer auf Reisen. Und noch trauriger sei, daß sie ihm kein Kind schenken konnte. Warum hatte Gott sie damit gestraft, daß sie nicht gebären konnte? »Wer weiß«, murmelte der Zwerg. Die Ratschlüsse Gottes waren manchmal schwer verständlich.
Tage später kampierten sie in Ipupiará, einem Straßenknotenpunkt. Hier war gerade ein Unglück geschehen. In einem Anfall von Wahnsinn hatte ein Mann seine Kinder und danach sich selbst mit der Machete umgebracht. Da die Beerdigung der kleinen Märtyrer an diesem Tag stattfinden sollte, gaben die Zirkusleute keine Vorstellung, riefen aber für den nächsten Abend eine aus. Das Dorf war klein, hatte aber ein Ladengeschäft, in dem sich die ganze Gegend versorgte.
Am Morgen kamen die Capangas. Sie waren beritten, und das eilige Pferdegetrappel weckte die Bärtige, die unter dem Zelt vorkroch, um zu sehen, wer kam. In allen Häusern von Ipupiará standen Neugierige, wie sie überrascht von der Ankunft der Reiter. Sie sah sechs, und sie waren bewaffnet. Es waren Capangas, keine Cangaceiros, auch keine Landgendarmen, man sah es an ihrer Kleidung und an den Kruppen ihrer Pferde, die alle deutlich sichtbar das Brandmal einer einzigen Fazenda trugen. Der vorderste – ein Mann in Lederzeug – stieg ab, und die Bärtige sah ihn auf sich zukommen. Jurema hatte sich aufgerichtet, die Bärtige fühlte sie zittern und sah ihr angstverzerrtes Gesicht, ihren offenen Mund. »Ist es dein Mann?« fragte sie. »Es ist Caifás«, sagte die junge Frau. »Wirder dich töten?« insistierte die Bärtige. Doch statt ihr zu antworten, kroch Jurema aus dem Zelt, stellte sich auf und ging dem Capanga entgegen. Er ließ sie herankommen. Der Bärtigen klopfte das Herz, weil
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