Der Krieg am Ende der Welt
Monte Santo geschickt werden müsse. »Er hat recht, es ist besser, wenn er sich nicht um den Krieg kümmert.« Denn Antônio war in Canudos vermutlich derjenige, der seit Jahren am wenigsten schlief und am meisten arbeitete. Nach der Ankunft des Ratgebers hatte er zuerst den Kauf und Verkauf seiner Waren weiterbetrieben wie zuvor, doch nach und nach und mit stillschweigendem Einverständnis aller, hatte der Aufbau der entstehenden Gesellschaft die kaufmännische Tätigkeit in den Hintergrund gedrängt und schließlich ganz ersetzt. Als aus allen Gegenden die Welle der Pilger gegen Canudos anbrandete, wäre es ohne ihn schwierig gewesen, zu essen, zu schlafen, zu überleben. Er verteilte den Grund, damit sie Häuser bauen und säen konnten, er zeigte ihnen, wo sie am besten säen und Tiere aufziehen konnten, er tauschte in den Dörfern das, was Canudos produzierte, gegen das, was es brauchte, und wenn Geschenke kamen, trennte er das, was für den Tempel des guten Jesus bestimmt war, von dem, was für Waffen und Vorräte aufgewendet werden sollte. Zu Antônio Vilanova kamen die Neuankömmlinge, sobald der Beatinho ihren Aufenthalt in Canudos genehmigt hatte, damit er ihnen half, sich einzurichten. Die Gesundheitshäuser waren sein Gedanke gewesen, und er hatte es nach den Kämpfen in Uauá und am Cambaio übernommen, die erbeuteten Waffen zu lagern und nach Absprache mit João Abade zu verteilen. Fast jeden Tag kam er mit dem Ratgeber zusammen, um ihm Rechenschaft abzulegen und seine Wünsche zu erfahren. Er ging nicht mehr auf Reisen, und João Abade hatte Antônia Sardelinha sagen hören, dies sei das auffälligste Zeichen für die Wandlung ihres Mannes, der früher vom Reisedämon besessen gewesen sei. Nun erledigte Honório den Warenaustausch, und niemand hätte sagen können, ob dieser Wille zur Seßhaftigkeit bei dem älteren der Brüder Vilanova auf das Ausmaß seiner Verpflichtungen in Belo Monte zurückzuführen sei oder darauf,daß diese ihm erlaubten, jeden Tag, und sei es für Minuten, mit dem Ratgeber zusammenzusein. Von diesen Unterredungen kehrte er jedesmal mit neuem Schwung zurück und sein Herz war voll Friede.
»Der Ratgeber ist einverstanden mit der Wache zu seinem Schutz«, sagte João Abade. »Auch damit, daß João Grande der Chef wird.« Diesmal zeigte sich Antônio Vilanova interessiert und sah ihn erleichtert an. Wieder schrie der Papagei: »Gülück.«
»João Grande soll zu mir kommen. Ich kann ihm helfen, die Leute auszuwählen. Ich kenne sie alle. Ich meine, wenn es dir recht ist.«
Antônia Sardelinha war zu ihnen getreten:
»Catarina hat am Morgen nach dir gefragt«, sagte sie zu João Abade. »Hast du Zeit, zu ihr zu gehen?«
João schüttelte den Kopf, nein, er hatte keine Zeit. In der Nacht vielleicht. Er schämte sich, obgleich die Vilanova verstehen mußten, daß er die Familie Gott hintansetzte: taten sie es nicht auch? Doch innerlich quälte es ihn, daß ihn die Umstände oder der Wille des guten Jesus immer länger von seiner Frau fernhielten.
»Ich geh zu Catarina und sag es ihr«, lächelte Antônia.
João Abade verließ den Laden und dachte, wie seltsam die Dinge in seinem, vielleicht in aller Leben liefen. Wie in den Geschichten der Troubadoure, dachte er. Er, der geglaubt hatte, nach der Begegnung mit dem Ratgeber werde das Blut aus seinem Lebensweg verschwinden, sah sich nun in einen Krieg verwickelt, schlimmer als alle, die er selbst geführt hatte. Deswegen hatte der Vater gewollt, daß er seine Sünden bereue? Damit er auch künftig töten und sterben sehen sollte? Ja, sicherlich deshalb. Er schickte zwei Jungen von der Straße zu Pedrão und dem alten Joaquim Macambira, um ihnen auszurichten, sie sollten sich mit ihm am Ortsausgang von Jeremoabo treffen, und ehe er João Grande aufsuchte, ging er noch zu Pajeú, der auf der Straße nach Rosario Schützengräben aushob. Er traf ihn ein paar hundert Meter jenseits der letzten Häuser, wo er einen quer über die Straße verlaufenden Graben mit Dorngeflecht tarnte. Eine Gruppe von Männern, einige mit Gewehren, brachten und verlegten Zweige, während ein paarFrauen an andere, sitzende, anscheinend eben von ihrer Schicht abgelöste Männer Essen austeilten. Wortlos gab ihm eine Frau einen Teller mit gebratenem, in Maismehl paniertem Zicklein, eine andere reichte ihm einen Krug Wasser. Er war so müde – den ganzen Weg war er gelaufen –, daß er tief Atem holen und einen langen Schluck tun mußte, ehe er sprechen
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