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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sternfunkelnden Himmel aufleuchten, ehe sie ihr Ziel erreichen. Dann endet das gellende Pfeifen, und man hört das schmerzvolle Aufbrüllen von Kühen, Pferden, Maultieren oder Ziegen. Manchmal stürzt ein verwundeter Soldat; doch das ist die Ausnahme, denn so wie die Pfeifen für das Gehör – das Gemüt, die Seele – der Soldaten bestimmt sind, so suchen sich die Geschosse beharrlich die Tiere. Die zwei ersten getroffenen Kühe reichten aus zu der Entdeckung, daß diese Opfer nicht mehr eßbar waren, nicht einmal für diejenigen Soldaten, die auf allen gemeinsam verbrachten Feldzügen Steine zu essen gelernt haben. Wer von diesen Kühen kostete, erbrach so heftig und bekam solchen Durchfall, daß man wußte, noch ehe die Ärzte darüber befanden: die Geschosse der Jagunços töteten doppelt, sie nahmen den Tieren das Leben und die Möglichkeit, denen als Nahrung zu dienen, die sie vor sich her trieben. Von nun an läßt Major Febrônio de Brito jede angeschossene Kuh mit Kerosen übergießen und verbrennen. Abgemagert, mit entzündeten Augen, ist der Major in den wenigen Tagen seit dem Abmarsch aus Queimadas ein verbitterter, grimmiger Mensch geworden. Wahrscheinlich ist in der ganzen Kolonne er derjenige, auf den die schlafraubenden, peinigenden Pfeifen die stärkste Wirkung haben. Sein Unglück will es, daß gerade er die Verantwortung für diese unter elegischen Lauten verendenden Vierfüßler trägt, daß er den Befehl erteilen muß, ihnen den Gnadenstoß zu geben und sie zu verkohlen, obwohl er weiß, daß diese Tode künftige Hungersnöte bedeuten. Er hat getan, was er konnte, um die Wirkung der Pfeile abzumildern, er hat Patrouillen rings um das Vieh verteilt und die Tiere mit gegerbten und ungegerbten Häuten abgedeckt, aber dadurch kommen sie bei den sommerlich hohen Temperaturen ins Schwitzen, bleiben zurück oderbrechen zusammen. Die Soldaten haben den Major an der Spitze von Patrouillen gesehen, die aufbrechen und alles durchsuchen, sobald die Sinfonie beginnt. Es sind erschöpfende, deprimierende Streifzüge, die nur die Unauffindbarkeit, die Sprunghaftigkeit, das Gespenstische der Angreifer unter Beweis stellen. Der mächtige Ton der Pfeifen läßt vermuten, daß es viele sind, aber das ist unmöglich, denn wie sollten sie sich in diesem ebenen, kaum bewachsenen Gelände unsichtbar machen? Oberst Moreira César hat eine Erklärung dafür: es sind winzige Gruppen in Schlüsselstellungen, die stunden- und tagelang in Höhlen, Erdspalten, Schlupflöchern und Büschen auf der Lauer liegen, und hinterhältigerweise wird der Ton der Pfeifen von der mondhaften Stille dieser Landschaft verstärkt. Sie sollten sich nicht stören lassen von solchen Tricks, sie können der Kolonne nichts anhaben. Und vor der Wiederaufnahme des Marschs meinte er bei der Nachricht über den Verlust der Tiere:
    »Das ist gut, das macht uns beweglicher, desto früher werden wir ankommen.«
    Seine Gelassenheit beeindruckt die Korrespondenten, vor denen er sich bei jeder Nachricht über neue Verluste einen Scherz leistet. Sie werden immer nervöser bei diesen Gegnern, die alle ihre Bewegungen ausspähen, und keiner sieht sie. Sie sind ihr einziges Gesprächsthema. Sie bestürmen den kurzsichtigen Journalisten mit Fragen: Was hält der Oberst wirklich von diesem ständigen Kleinkrieg gegen die Nerven und Reserven der Kolonne? Und der Journalist antwortet jedesmal, daß Moreira César diese Pfeile nicht erwähnt und diese Pfeifen nicht hört, weil er nur von der einzigen Sorge besessen ist, nach Canudos zu kommen, ehe der Ratgeber und die Aufständischen Zeit haben zu entkommen. Er weiß natürlich, daß diese Pfeile und Pfeifen keinen anderen Zweck haben, als das Siebte Regiment abzulenken und den Banditen dadurch Zeit zu geben, den Rückzug vorzubereiten. Doch der Oberst ist ein geschickter Soldat, er läßt sich nicht täuschen, keinen Tag hält er sich mit nutzlosen Suchaktionen auf, keinen Millimeter weicht er von seinem Weg ab. Den Offizieren, die sich wegen der künftigen Verpflegung Gedanken machen, hat er gesagt, auch aus diesem Grund sei es wichtig, bald nach Canudos zu kommen: In denSpeichern, Höfen und Ställen des Feindes werde das Siebte Regiment finden, was es braucht.
    Wie oft seit Wiederaufnahme des Marsches haben die Korrespondenten einen jungen Offizier mit einer Handvoll blutiger Pfeile an die Spitze der Kolonne reiten und über neue Angriffe berichten sehen! Doch an diesem Mittag, wenige Stunden, ehe sie in Monte

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