Der Krieg am Ende der Welt
Santo einziehen werden, bringt der von Major Febrônio de Brito entsandte Offizier außer Pfeilen auch eine Pfeife und eine Armbrust mit. Die Kolonne ist in einer Schlucht unter schweißtreibender Sonne stehengeblieben. Moreira César untersucht eingehend die Armbrust, ein leicht zu handhabendes, primitives Modell aus ungehobeltem Holz und groben Sehnen. Oberst Tamarindo, Olimpio de Castro und die Korrespondenten stehen um ihn herum. Der Oberst nimmt einen der Pfeile, legt ihn auf die Armbrust und zeigt den Korrespondenten, wie die Maschine funktioniert. Dann setzt er die aus Zuckerrohr hergestellte, mit Einschnitten versehene Pfeife an den Mund, und alle hören den schauerlichen Klagelaut. Erst jetzt kommt der Bote mit der großen Neuigkeit heraus:
»Wir haben zwei Gefangene, Exzellenz. Einer ist verwundet, aber der andere kann sprechen.«
Stille tritt ein, Moreira César, Tamarindo und Olimpio de Castro sehen sich an. Drei Patrouillen seien ständig in Bereitschaft anzugreifen, sobald die Pfeifen ertönen, erklärt der junge Offizier, und vor zwei Stunden seien alle drei bei dem ersten Laut in verschiedene Richtungen ausgeschwärmt. Eine habe die Pfeilschützen ausgemacht, ehe sie hinter Felsblöcken verschwanden. Sie hätten ihnen nachgesetzt, sie eingeholt und versucht, sie lebend zu erwischen, aber einer habe die Soldaten angegriffen und sei verwundet worden. Moreira César begibt sich sofort zur Nachhut, gefolgt von den Korrespondenten, die ganz aus dem Häuschen sind bei dem Gedanken, endlich einmal einen Feind zu sehen. Doch so schnell werden sie ihn nicht zu Gesicht bekommen. Als sie eine Stunde später bei der Nachhut eintreffen, sind die Gefangenen eingesperrt in einer Baracke, die von Soldaten mit gezogenem Bajonett bewacht wird. Sie dürfen ihr nicht nahe kommen. So streichen sie in einigem Abstand um sie herum, beobachten das Kommen und Gehen der Offiziere, erhalten von denen, die sie gesehen haben,ausweichende Antworten. Zwei oder drei Stunden später ist Moreira César wieder an der Spitze seiner Kolonne. Endlich erfahren sie etwas.
»Einer von beiden ist ziemlich schwer verwundet«, berichtet der Oberst. »Er kommt vielleicht nicht mehr bis Monte Santo. Schade. Sie müssen dort hingerichtet werden, damit ihr Tod etwas bewirkt. Hier wäre es zwecklos.«
Als der älteste Journalist, der immer eingemummt ist, als kuriere er sich von einer Erkältung, fragt, ob die Gefangenen nützliche Informationen gebracht haben, zeigt sich der Oberst skeptisch.
»Nichts als Ausreden über Gott, den Antichrist, das Ende der Welt. Darüber sagen sie alles. Aber über ihre Komplizen und die Drahtzieher, nichts. Kann sein, daß sie nicht viel wissen, es sind arme Teufel. Sie gehören zur Bande Pajeús, eines Cangaceiro.«
Sofort bricht die Kolonne wieder auf, im Eiltempo. Am Abend erreicht sie Monte Santo.
Hier lassen es die Soldaten nicht wie in anderen Ortschaften bei flüchtigen Hausdurchsuchungen bewenden. Hier, auf dem Platz mit den Tamarinden, am Fuß des Kalvarienberges, sehen die Korrespondenten schon beim Absteigen, umringt von Kindern, alten Leuten und Frauen, deren Blicke sie kennengelernt haben – abweisende, mißtrauische, distanzierte Blicke, die dumm und unwissend zu sein vorgeben –, wie Soldaten zu zweien oder dreien zu den Lehmhütten rennen und, das Gewehr im Anschlag, hineingehen, als würden sie auf Widerstand stoßen. Neben ihnen, vor ihnen, überall brechen im Takt von Befehlen und Rufen Patrouillen mit Gewehrkolben Türen und Fenster auf, und gleich darauf werden die ersten Männer zu den durch Posten ausgewiesenen Pferchen geschleppt. Dort werden sie verhört. Von der Stelle, an der sie stehen, hören die Korrespondenten die Beschimpfungen, die Proteste, das Gebrüll, dazu das Heulen und Kämpfen der Frauen, die einzudringen versuchen. Innerhalb weniger Minuten ist Monte Santo der Schauplatz eines sonderbaren Kampfes ohne Schüsse und ohne Angriff. Verlassen, ohne daß einer der Offiziere ihnen erklärt, was hier geschieht, gehen die Korrespondenten auf und ab durch diesen Ort der Leidenswege und Kreuze. Von einemPferch ziehen sie zum andern, sehen immer wieder das gleiche: Reihen von Männern zwischen Soldaten mit Bajonetten, und manchmal einen Gefangenen, so mißhandelt, daß er kaum stehen kann, den sie vor sich her stoßen oder aus einem Haus zerren. Aus Angst, dem Räderwerk dieses Mechanismus anheimzufallen, das rings um sie knirscht, gehen sie in einer Gruppe, ohne zu begreifen,
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