Der Krieg am Ende der Welt
anzusprechen. Dem Aussehen nach sind es eher Bauern als Cangaceiros, doch sie sind mit Macheten, Karabinern, Kugelketten, Jagdmessern und Pulverhörnern bewaffnet. Als Rufino kommt, geht einer von ihnen zu dem Mädchen, lächelnd, um es nicht zu erschrecken. Sie reißt die Augen weit auf, rührt sich aber nicht. Unter beruhigenden Gesten nimmt ihr der Mann Glöckchen und Pfeife ab und kehrt zu seinen Gefährten zurück. Rufino sieht, daß alle Schellen und Pfeifchen umhängen haben.
Essend sitzen sie im Kreis, einer vom andern abgerückt. Sie scheinen seinem Kommen nicht die mindeste Bedeutung zuzumessen, als hätten sie ihn erwartet. Der Spurensucher hebt die Hand an den Strohhut: »Guten Abend.« Ein paar essen weiter, andere schütteln den Kopf, einer murmelt mit vollem Mund: »Gelobt sei der gute Jesus.« Es ist ein stämmiger Mann, Indianerhalbblut, von gelblicher Haut und mit einer Narbe, die ihn fast um die Nase gebracht hat. Das ist Pajeú, denkt Rufino. Er wird mich töten. Er verspürt Traurigkeit, denn er wird sterben, ohne den Mann, der ihn entehrt hat, ins Gesicht geschlagen zu haben. Pajeú beginnt ihn zu verhören. Ohne Zorn, ohne ihm auch nur seine Waffen abzuverlangen: Woher er kommt, für wen er arbeitet, wohin er geht, was er gesehen hat. Rufino antwortet, ohne zu überlegen, schweigt nur, wenn ihn eine neue Frage unterbricht. Die anderen essen weiter; erst als Rufino erklärt, was er sucht und weshalb, drehen sie sich um und sehen ihn an, forschend, von Kopf bis Fuß. Pajeú läßt ihn wiederholen, wie oft er Mobile Einheiten geführt hat, die Cangaceiros verfolgt haben. Er will sehen, ob er sich widerspricht. Wußte er, daß eine dieser Mobilen Einheiten Pajeú verfolgt hat? Ja, er wußte es. An die Einheit des Hauptmanns Geraldo Macedo, des Räuber-Jägers, erinnere er sich noch, sagt der ehemalige Bandit, er habe Mühe gehabt, sie abzuschütteln. »Du bist ein guter Spurensucher«, sagt er. »Deine Spurensucher sind besser. Ich konnte mich nicht freimachen von ihnen.« Von Zeit zu Zeit tritt lautlos eine Gestalt aus dem Gebüsch, die Pajeú etwas zu sagen hat, und mit der gleichen gespensterhaftenStille verschwindet sie wieder. Ohne ungeduldig zu werden, ohne zu fragen, was mit ihm geschehen wird, sieht Rufino sie zu Ende essen. Die Jagunços stehen auf, verscharren die Glut, verwischen ihre Spuren mit Icó-Zweigen. Pajeú sieht ihn an. »Willst du dich nicht retten?« fragt er ihn. »Zuerst will ich meine Ehre retten«, sagt Rufino. Keiner lacht. Pajeú ist sich ein paar Minuten im Zweifel: »Den Ausländer, den du suchst, haben sie zu Baron de Canabrava nach Calumbí gebracht«, stößt er dann zwischen den Zähnen hervor. Unmittelbar danach bricht er mit seinen Männern auf. Rufino sieht das Albinomädchen, das auf dem Boden sitzt, und zwei Geier auf einem Imbuzeiro, die wie alte Männer krächzen.
Sofort entfernt er sich von der Lichtung, doch er ist noch keine halbe Stunde gegangen, als eine Lähmung seinen Körper befällt, eine Müdigkeit, die ihn da umwirft, wo er steht. Als er aufwacht, sind sein Gesicht, sein Hals, seine Arme voll Stiche. Zum erstenmal seit Queimadas überkommt ihn bittere Mutlosigkeit, die Überzeugung, daß alles umsonst ist. In entgegengesetzter Richtung nimmt er den Marsch wieder auf. Doch obwohl er nun eine Gegend durchquert, die er begangen hat, seit er gehen kann, in der er jeden Seitenweg kennt und weiß, wo man Wasser suchen muß und an welchen Stellen man am besten Fallen stellt, wird ihm der Tag endlos und er muß ständig gegen die Erschöpfung ankämpfen. Immer wieder geht ihm durch den Kopf, was er in der Nacht geträumt hat: die Erde ist eine dünne Kruste, die jeden Augenblick aufbrechen und ihn verschlingen kann. In aller Stille geht er durch Monte Santo und braucht von da aus weniger als zehn Stunden bis Calumbí. Die ganze Nacht über hat er nicht angehalten und manchmal ist er gelaufen. Beim Durchqueren der Fazenda bemerkt er nicht den kläglichen Zustand der Felder, den Mangel an Männern, den allgemeinen Verfall. Er geht an ein paar Landarbeitern vorüber, die ihn grüßen, doch er erwidert ihr »Guten Abend« nicht und antwortet nicht auf ihre Fragen. Keiner hält ihn auf, einige folgen ihm von weitem.
Auf dem freien Platz um das Herrenhaus, zwischen den Königspalmen und Tamarinden, sind außer den Landarbeitern, die zwischen den Ställen, Lagerhäusern und Dienstbotenbaracken herumgehen, bewaffnete Männer. Sie rauchen, unterhaltensich. An
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