Der Krieg am Ende der Welt
Gefangener oder sein Gast war. Er musterte die Ankömmlinge. Drei blieben stumm, während der vierte mit Aristarco sprach. Indianerhalbblut, klein, untersetzt, nicht mehr jung, eine Haut wie Kuhleder. Eine Narbe zerschnitt sein Gesicht: ja, es konnte Pajeú sein. Aristarco nickte mehrmals, und der Baron sah ihn auf das Haus zugehen.
»Ein ereignisreicher Tag«, murmelte er, an der Zigarre ziehend.
Aristarco kam mit undurchdringlichem Gesicht, wie immer, doch der Baron erriet, daß er beunruhigt war.
»Pajeú «, sagte er lakonisch. »Er möchte mit Ihnen sprechen.«
Statt zu antworten, wandte sich der Baron an Gall:
»Ich bitte Sie, sich zurückzuziehen. Wir sehen uns beim Abendessen. Wir essen früh auf dem Land. Um sechs.«
Als er gegangen war, fragte er den Capanga, ob nur diese vier gekommen seien. Nein, in der näheren Umgebung standen mindestens ein halbes Hundert Jagunços. War der Caboclo wirklich Pajeú? Ja, er war es.
»Was passiert, wenn sie Calumbí angreifen?« fragte der Baron.
»Können wir standhalten?«
»Wir können uns umbringen lassen«, antwortete der Capanga, als hätte er diese Antwort bereits sich selbst gegeben. »Vielen von unseren Leuten trau ich nicht mehr. Sie können auch jeden Moment nach Canudos gehen.«
Der Baron seufzte.
»Bring ihn herein«, sagte er. »Ich möchte, daß du bei dem Gespräch zugegen bist.«
Aristarco ging hinaus und war einen Moment später mit dem Mann aus Canudos wieder da, der den Hut abnahm und einen Meter vor dem Hausherrn stehenblieb. Der Baron versuchte, aus diesem unbeugsamen Blick, diesen gegerbten Zügen die Untaten und Verbrechen abzulesen, die Pajeú nachgesagt wurden. Die gräßliche Narbe, die von einer Kugel, einem Jagdmesser oder von Krallen herrühren konnte, erinnerte an das Gewalttätige in seinem Leben. Ansonsten hätte man ihneher für einen Bauern halten können. Doch die Bauern pflegten zu blinzeln und die Augen niederzuschlagen, wenn sie mit dem Baron sprachen. Pajeú hielt seinem Blick ohne Demut stand.
»Du bist Pajeú?« fragte er endlich.
»Ich bin es«, bestätigte der Mann. Aristarco stand hinter ihm wie eine Statue.
»Du hast in dieser Gegend so viel Unheil angerichtet wie die Dürre«, sagte der Baron. »Mit deinen Raubüberfällen, deinen Massakern, deinen Plünderungen.«
»Das waren andere Zeiten«, erwiderte Pajeú ohne Groll, mit verstecktem Bedauern. »In meinem Leben gibt es Sünden, für die ich Rechenschaft ablegen muß. Jetzt diene ich nicht mehr dem Hund, sondern dem Vater.«
Der Baron erkannte den Ton wieder: es war der der Kapuzinermönche aus den Missionen, der der Wanderheiligen, die nach Monte Santo kamen, der von Moreira César, der von Galileo Gall. Der Ton der absoluten Gewißheit, dachte er, der Ton derer, die niemals zweifeln. Und zum erstenmal empfand er Neugier, den Ratgeber zu hören, diesen Mann, der fähig war, aus einem Halunken einen Fanatiker zu machen.
»Wozu bist du gekommen?«
»Um Calumbí abzubrennen «, sagte die monotone Stimme.
»Um Calumbí abzubrennen?« Grenzenlose Verblüffung verwandelte die Miene, die Stimme, die Haltung des Barons.
»Um es zu reinigen«, erklärte der Caboclo langsam. »Nach soviel Schweißvergießen hat die Erde Ruhe verdient.«
Aristarco hatte sich nicht bewegt, und der Baron, der seine Fassung wiedergewonnen hatte, sah den ehemaligen Cangaceiro so forschend an, wie früher, in ruhigeren Zeiten, Schmetterlinge und Pflanzen unter dem Vergrößerungsglas. Er hatte mit einemmal den Wunsch, ins Innere dieses Mannes einzudringen, bis an die verborgenen Wurzeln dessen, was er sagte. Und gleichzeitig sah er im Geist Sebastiana in einem Flammenkreis das helle Haar Estelas kämmen.
»Begreift denn dieser Unselige, der Ratgeber, nicht, was er tut?« Mit Mühe hielt er seine Empörung zurück. »Sieht er denn nicht, daß die verbrannten Fazendas Hunger und Tod für Hunderte von Familien bedeuten? Begreift er nicht, daß dieser Wahnsinn den Krieg schon bis Bahia getragen hat?«»Es steht in der Bibel«, erklärte Pajeú, unverändert, »die Republik wird kommen, der Halsabschneider wird kommen, es wird eine Katastrophe geben. Aber dank Monte Belo werden die Armen gerettet werden.«
»Hast du etwa die Bibel gelesen?« murmelte der Baron.
»Er hat sie gelesen«, sagte der Caboclo. »Sie und Ihre Familie können gehen. Der Halsabschneider war hier und hat Spurensucher und Vieh mitgenommen. Calumbí ist verflucht, der Hund ist hier gewesen.«
»Ich werde nicht
Weitere Kostenlose Bücher