Der Krieg am Ende der Welt
aufsteigen.
Rufino betritt Cumbe zur selben Zeit wie zwei Patrouillen Soldaten, die sich aufführen, als wären die Leute im Dorf ihre Feinde. Sie durchsuchen die Häuser, schlagen mit Gewehrkolben auf die Protestierenden ein, heften einen Anschlag an, der jedem den Tod ankündigt, der Feuerwaffen versteckt, und rufen zwischen Trommelwirbeln den Text aus. Sie suchen den Pfarrer. Rufino hört, sie hätten ihn schließlich gefunden und keine Bedenken gehabt, in die Kirche einzudringen und ihn herauszuprügeln. Nachdem er sich in Cumbe nach den Zirkusleuten erkundigt hat, quartiert er sich im Haus eines Ziegelbrenners ein. Die Familie kommentiert die Hausdurchsuchungen, die Mißhandlungen. Doch mehr als alles beeindruckt sie das Sakrileg: in die Kirche eindringen und einen Diener Gottes schlagen! Also stimmt wohl, was gesagt wird: Diese Gottlosen dienen dem Hund.
Rufino verläßt das Dorf in der Gewißheit, daß der Ausländer nicht in Cumbe gewesen ist. Ist er vielleicht in Canudos? Oder in den Händen der Soldaten? An einer Sperre auf dem Weg nach Canudos wird er um ein Haar von Landgendarmen festgenommen. Ein paar von ihnen kennen ihn und treten bei den anderen für ihn ein. Nach einer Weile lassen sie ihn laufen. Er schlägt eine Abkürzung nach Norden ein, und gleich darauf hört er einen Schuß. An dem Staub, der zu seinen Füßen auffährt, merkt er, daß auf ihn geschossen wird. Er wirft sich zu Boden, kriecht, entdeckt seine Angreifer: zwei Gendarmen auf einer Anhöhe. Sie schreien ihm zu, er soll den Karabiner und das Jagdmesser wegwerfen. Er springt auf und rennt im Zickzack auf einen toten Winkel zu. Unversehrt erreicht er die schützende Stelle und kann sich von hier aus über die Felsenabsetzen. Doch er verliert die Orientierung, und als er sicher ist, daß er nicht mehr verfolgt wird, ist er so erschöpft, daß er wie ein Sack umfällt und schläft. Die Sonne zeigt ihm den Weg nach Canudos. Aus verschiedenen Richtungen streben Gruppen von Pilgern auf den verwilderten Weg zu, den vor einigen Jahren nur Viehherden und die allerärmsten Kaufleute benützt haben. Am Abend, als er unter Pilgern kampiert, hört er einen kleinen Alten mit Furunkeln, der aus dem Thermalbad Santo Antônio kommt, von einer Zirkusvorstellung sprechen. Rufino klopft das Herz. Er läßt den Mann reden, ohne ihn zu unterbrechen, und einen Augenblick später weiß er, daß er die Spur wiedergefunden hat.
In der Dunkelheit kommt er nach Santo Antônio und setzt sich neben einen Thermalbrunnen am Ufer des Massacará, um den Tagesanbruch abzuwarten. Vor Ungeduld kann er nicht denken. Mit dem ersten Sonnenstrahl läuft er durch die Häuschen, die alle gleich aussehen. Die meisten stehen leer. Der erste Ortsansässige, den er trifft, zeigt ihm, wohin er gehen muß. Er betritt einen dunklen, stinkenden Raum und bleibt stehen, bis sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt haben. Wände werden sichtbar, auf ihnen Striche, Zeichnungen, ein Herz Jesu. Möbel sind keine da, keine Bilder, nicht einmal eine Lampe, aber etwas wie eine Erinnerung an diese Dinge, die die Bewohner mitgenommen haben, ist zurückgeblieben.
Die Frau sitzt auf dem Boden und hebt den Kopf, als sie ihn hereinkommen sieht. Um sie herum liegen bunte Fetzen, ein Weidenkorb, eine Glutpfanne. Auf ihrem Schoß hat sie etwas, das er schwer erkennen kann. Ja, es ist der abgeschnittene Kopf einer Schlange. Jetzt bemerkt der Spurensucher den Flaum, der Gesicht und Arme der Frau dunkelt. Zwischen ihr und der Wand liegt ein Mensch, dessen untere Körperhälfte und Füße er sehen kann. Er entdeckt die Verzweiflung in den Augen der Bärtigen. Er verneigt sich respektvoll, fragt nach dem Zirkus. Immer noch sieht sie ihn an, ohne ihn zu sehen, und endlich streckt sie ihm mutlos die Kobra hin: er könne sie essen. Hockend erklärt ihr Rufino, daß er ihr nicht das Essen wegnehmen, sondern etwas wissen will. Die Bärtige spricht von dem Toten. Ganz still sei er in Agonie gefallen, letzte Nacht sei er gestorben. Er hört ihr zu, pflichtet ihr bei. Sie klagt sich an,sie hat Gewissensbisse, vielleicht hätte sie Idílica früher töten sollen, damit er zu essen gehabt hätte. Wäre er durchgekommen, wenn sie das getan hätte? Sie selbst gibt sich die Antwort: nein. Die Kobra und der Tote haben ihr Leben geteilt seit den Anfängen des Zirkus. Bilder des Zigeuners, des Riesen Pedrino und anderer Artisten, die er als Kind in Calumbí gesehen hat, kehren Rufino ins Gedächtnis zurück. Die Frau
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