Der Krieg am Ende der Welt
den Fenstern sind die Jalousien heruntergelassen. Rufino geht langsam, achtet genau auf das Verhalten der Capangas. Ohne einen Befehl, ohne ein Wort zu sagen, gehen sie ihm entgegen. Kein Schrei, keine Drohungen, keine Worte fallen zwischen ihnen und Rufino. Als der Spurenleser bei ihnen angekommen ist, packen sie ihn an den Armen. Sie schlagen ihn nicht, nehmen ihm auch nicht den Karabiner, die Machete und das Jagdmesser ab und vermeiden es, grob zu sein. Sie lassen ihn nur nicht weitergehen. Gleichzeitig klopfen sie ihm den Rücken, grüßen ihn, raten ihm, er soll nicht stur sein, er soll einsehen. Das Gesicht des Spurenlesers ist naß von Schweiß. Auch er schlägt sie nicht, versucht aber, sich loszumachen. Als er zwei abgeschüttelt hat und einen Schritt vortritt, stehen zwei andere da und zwingen ihn, zurückzugehen. Das Hin und Her dauert eine Weile. Endlich hört Rufino auf zu kämpfen und läßt den Kopf hängen. Die Männer lassen ihn los. Er betrachtet die zweistöckige Fassade, das Ziegeldach, das Fenster des Arbeitszimmers des Barons. Er geht einen Schritt vor, und sofort bildet sich wieder die Sperre von Männern. Aus dem Herrenhaus tritt ein Mann, den er kennt: Aristarco, der Chef der Capangas.
»Der Baron empfängt dich sofort, wenn du ihn sehen willst«, sagt er freundschaftlich.
Rufinos Brust hebt und senkt sich.
»Liefert er mir den Ausländer aus?«
Aristarco schüttelt den Kopf.
»Er liefert ihn dem Heer aus. Das Heer wird dich rächen.«
»Dieser Mensch gehört mir«, murmelt Rufino. »Der Baron weiß es.«
»Er ist nicht für dich, er wird ihn dir nicht ausliefern«, wiederholt Aristarco. »Soll er es dir erklären?«
Rufino, fahl im Gesicht, sagt nein. Seine Adern an Stirne und Hals sind geschwollen, die Augen stehen ihm aus dem Kopf.
»Sag dem Baron, daß er nicht mehr mein Pate ist«, artikuliert er mit brechender Stimme. »Und dem anderen sag, daß ich die Frau töten werde, die er mir geraubt hat.«
Er spuckt aus, dreht sich um und geht dahin zurück, woher er gekommen ist.Durch das Fenster des Arbeitszimmers sahen der Baron und Galileo Gall Rufino weggehen und Capangas und Landarbeiter an ihre Plätze zurückkehren. Galileo hatte sich frischgemacht, man hatte ihm einen Kittel und eine Hose in besserem Zustand als seine gegeben. Der Baron kehrte an seinen Schreibtisch unter die Jagdmesser und Peitschen an der Wand zurück. Er hielt eine dampfende Tasse Tee in der Hand, trank zerstreut einen Schluck. Dann musterte er Gall wieder wie ein von einer seltenen Spezies faszinierter Entomologe. So sah er ihn an, seit er ihn, erschöpft und hungrig, zwischen Aristarco und seinen Capangas hatte ankommen sehen, und erst recht, seit er ihn sprechen hörte.
»Hätten Sie Rufino töten lassen?« fragte Galileo auf Englisch.
»Wenn er um jeden Preis hätte hereinkommen wollen, wenn er frech geworden wäre? Ja, ich bin sicher, Sie hätten ihn töten lassen.«
»Tote tötet man nicht, Herr Gall«, erwiderte der Baron.
»Rufino ist tot. Sie haben ihn getötet, als Sie ihm Jurema weggenommen haben. Ihn umbringen lassen wäre für ihn eine Gnade gewesen, die ihn von der Angst vor Ehrlosigkeit befreit hätte. Für einen Sertanejo gibt es keine schlimmere Strafe.«
Er öffnete ein Etui, und während er sich eine Zigarre ansteckte, stellte er sich eine Überschrift im Jornal de Notícias vor: »Englischer Agent, geführt von einem Sbirren des Barons«. Gut ausgedacht, ihm Rufino als Spurensucher zu geben. War das nicht der beste Beweis für seine, des Barons, Komplizenschaft mit dem Engländer?
»Nur eines konnte ich mir nicht erklären, nämlich womit Epaminondas den angeblichen Agenten in den Sertão gelockt haben könnte«, sagte er, die Finger schüttelnd, als hätte er einen Krampf. »Daß ihm, wie ein Geschenk des Himmels, ein Idealist in die Arme laufen würde, darauf bin ich nicht gekommen. Kuriose Rasse, diese Idealisten. Ich kannte keinen, und jetzt hatte ich innerhalb weniger Tage zwei vor mir. Der andere ist Oberst Moreira César. Ja, der ist auch ein Träumer. Obwohl seine Träume nicht die gleichen sind wie Ihre ...«
Eine heftige Bewegung draußen unterbrach ihn. Er trat ans Fenster und sah durch die kleinen Vierecke des Metallgitters, daß es nicht noch einmal Rufino war, sondern vier Männer mitKarabinern, die Aristarco und seine Capangas eingekreist hatten. »Es ist Pajeú, der von Canudos«, hörte er Gall sagen, diesen Mann, von dem nicht einmal er selbst wußte, ob er sein
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