Der Krieg am Ende der Welt
unbestreitbar übernatürlich war die Aura des Ratgebers, daß ein Mann wie Antônio Vilanova vor ihm schüchtern wurde, dachte der Beatinho. Im täglichen Leben war der Kaufmann eine Naturkraft, eine mitreißende Energie, und seine Meinungen waren von ansteckender Überzeugungskraft. Und vor dem Ratgeber wurde dieser Stentor, dieser unermüdliche Arbeiter, dieser Springquell an Ideen zum Kind. »Aber er leidet nicht, er spürt den Balsam.« Antônio selbst hatte es ihm gesagt, früher, als sie noch spazierengingen nach der Stunde des Rats und sich unterhielten. Damals hatte er alles über den Ratgeber wissen wollen, die Geschichte seiner Wanderschaften, die Lehren, die er schon ausgesät hatte, und der Beatinho hatte ihn unterwiesen. Wehmütig dachte er an diese Zeiten von Belo Monte zurück, an die verlorene Verfügbarkeit. Man hatte noch meditieren, beten, Gespräche führen können. Jeden Tag waren er und der Kaufmann, in Gespräche vertieft, von einem Ende des Orts zum andern gegangen, der damals noch kleiner und weniger bevölkert war. Antônio Vilanova hatte ihm sein Herz eröffnet und ihm erzählt, wie sehr der Ratgeber sein Leben verändert hatte. »Ich lebte in ständiger Hetze, die Nerven zum Zerreißen gespannt und mit dem Gefühl, der Kopf würde mir zerspringen. Jetzt brauche ich nur zu wissen, daß er nahe ist, und spüre eine Gelassenheit wie nie zuvor. Er ist ein Balsam, Beatinho.« Jetzt konnten sie nicht mehr miteinander sprechen, waren Sklaven ihrer Verpflichtungen geworden. Der Wille des Vaters geschehe.
Er war so versunken in seine Erinnerungen, daß er nicht bemerkte, in welchem Augenblick Antônio Vilanova aufgehört hatte zu sprechen. Nun antwortete ihm João Abade. Die Nachrichten seien eindeutig, Pajeú habe sie bestätigt: Baron de Canabrava diente dem Antichrist, er hatte den Fazendeirosbefohlen, dem Heer Capangas, Lebensmittel, Spurensucher, Pferde und Maultiere zu geben. Calumbí war ein Lager für Uniformierte geworden. Die Fazenda war die größte, die reichste, die mit den besten Lagerhäusern; sie konnte zehn Heere versorgen. Man mußte sie niederbrennen und durfte nichts übriglassen, was dem Hund dienen konnte, sonst würde es noch viel schwieriger werden, Belo Monte zu verteidigen, wenn sie kamen. Wie Antônio Vilanova wandte auch er den Blick nicht von den Lippen des Ratgebers. Man brauche nicht weiter zu streiten: der Heilige werde wissen, ob Calumbí verschont werden würde oder brennen sollte. Trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten – und der Beatinho hatte sie bei vielen Anlässen uneins gesehen – litt ihre Brüderlichkeit keinen Schaden. Doch noch ehe der Ratgeber sprechen konnte, wurde an die Tür des Sanktuariums geklopft. Es waren Bewaffnete, sie kamen aus Cumbe. João Abade sah nach, was für Nachrichten sie brachten.
Als er hinausging, ergriff Antônio Vilanova wieder das Wort, aber nun, um von den Toten zu sprechen. Ihre Zahl wuchs mit dem Zustrom der Pilger, und der alte Friedhof hinter den Kirchen bot schon keinen Platz mehr für Gräber. Deshalb habe er Leute aufgestellt, die ein Gelände auf dem Taboleirinho, zwischen Canudos und dem Cambaio, roden und einzäunen sollten als neuen Friedhof. War es dem Ratgeber so recht? Der Heilige stimmte mit kurzem Kopfnicken zu. Als João Grande, gestikulierend mit seinen Riesenhänden, das Kraushaar glänzend von Schweiß, erzählte, seit gestern hebe die Katholische Wachmannschaft einen Schützengraben aus, der mit einer doppelten Brustwehr aus Stein am Ufer des Vaza Barris beginnen und bis zur Fazenda Velha reichen sollte, kam João Abade zurück. Selbst der Löwe von Natuba hob seinen gewaltigen Kopf mit den inquisitorischen Augen.
»Die Soldaten sind heute früh in Cumbe einmarschiert. Sie fragten sofort nach Pater Joaquim und suchten ihn. Sie sollen ihm die Kehle durchgeschnitten haben.«
Der Beatinho hörte ein Schluchzen, sah aber nicht hin: er wußte, daß es Alexandrinha Corrêa war. Auch die anderen sahen sie nicht an, obwohl das Schluchzen lauter wurde. Der Ratgeber hatte sich nicht bewegt.»Wir wollen für Pater Joaquim beten«, sagte er endlich liebevoll. »Er ist nun beim Vater. Er wird uns dort noch mehr helfen als in dieser Welt. Freuen wir uns für ihn und für uns. Für den Gerechten ist der Tod ein Fest.«
Der Beatinho kniete nieder. Er beneidete zutiefst den Pfarrer von Cumbe, dem der Hund nichts mehr anhaben konnte dort oben, an diesem privilegierten Ort, zu dem nur die Märtyrer des guten Jesus
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