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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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hat gehört, daß die Toten in die Hölle kommen, wenn sie nicht im Sarg beerdigt werden; das ängstigt sie. Rufino erbietet sich, einen Sarg zu machen und ein Grab für ihren Freund auszuheben. Was er will, fragt sie ihn unvermittelt. Rufino – die Stimme zittert ihm – sagt es ihr. »Der Ausländer?« wiederholt die Bärtige, »Galileo Gall?« Ja, er. Ein paar Männer zu Pferd haben ihn mitgenommen, als sie das Dorf verließen. Und wieder spricht sie von dem Toten, sie hat ihn nicht mitschleppen können, er hat ihr leid getan, lieber ist sie zurückgeblieben, um ihn zu pflegen. Sind es Soldaten gewesen? Landgendarmen? Räuber? Sie weiß es nicht. Dieselben, die ihm in Ipupiará das Haar abgeschnitten haben? Nein, die waren es nicht. Sind sie seinetwegen gekommen? Ja, die Zirkusleute haben sie ungeschoren gelassen. Sind sie nach Canudos geritten? Auch das weiß sie nicht.
    Rufino legt den Toten zwischen Fensterbretter, die er mit den bunten Fetzen verschnürt. Er lädt sich den zweifelhaften Sarg auf die Schulter und geht, gefolgt von der Frau, hinaus. Ein paar Leute führen ihn auf den Friedhof und leihen ihm eine Schaufel. Er hebt ein Grab aus, schüttet es wieder zu und bleibt stehen, solange die Bärtige betet. Auf dem Rückweg bedankt sie sich überschwenglich. Rufino, mit abwesenden Augen, fragt sie: »Haben sie auch die Frau mitgenommen?« Die Bärtige blinzelt: »Du bist Rufino«, sagt sie. Er nickt. Jurema habe gewußt, daß er kommen werde, erzählt sie ihm. »Haben sie auch sie mitgenommen?« »Nein, sie ist mit dem Zwerg in Richtung Canudos gegangen.« Eine Gruppe Kranker und Gesunder hört ihnen zu, belustigt. Rufino verspürt plötzlich eine solche Müdigkeit, daß er wankt. Die Leute bieten ihm eine Unterkunft an, und er willigt ein, in dem Haus zu schlafen, in dem sich die Bärtige aufhält. Er schläft bis in die Nacht. Als er wach wird, bringen ihm die Bärtige und ein Ehepaar einenNapf, in dem ein dicker Brei ist. Er spricht mit ihnen über den Krieg und die Wirrnisse der Welt. Als das Paar geht, fragt er die Bärtige nach Galileo und Jurema. Sie sagt ihm, was sie weiß, auch, daß sie nach Canudos will. Hat sie keine Angst, in die Höhle des Löwen zu gehen? Noch mehr fürchtet sie, allein zu bleiben; dort trifft sie vielleicht den Zwerg, und sie können zu zweit weitermachen.
    Am folgenden Morgen verabschieden sie sich. Der Spurenleser geht nach Westen, denn in dieser Richtung, haben die Leute versichert, seien die Capangas abgezogen. Er geht zwischen Büschen, Dornhecken, Gestrüpp, und ein paar Stunden später weicht er einer Patrouille von Kundschaftern aus, die die Caatinga durchsuchen. Oft bleibt er stehen, um die Spuren zu prüfen. An diesem Tag fängt er keine Beute und kaut nur Kräuter. Die Nacht verbringt er am Riacho da Varginha. Kurz nachdem er die Wanderung wiederaufgenommen hat, erkennt er von fern das Heer dieses Halsabschneiders, der in aller Munde ist. Er sieht im Staub ihre Bajonette blitzen, hört das Knirschen der holpernden Lafetten. Er nimmt seinen Trott wieder auf, betritt Zélia jedoch erst nach Einbruch der Nacht. Die Leute erzählen ihm, daß außer den Soldaten auch die Jagunços von Pajeú hier gewesen sind. Von einer Bande Capangas mit einem Menschen wie Gall weiß niemand etwas. In der Ferne hört Rufino die Holzpfeifen, die in Abständen die ganze Nacht über ertönen werden.
    Zwischen Zélia und Monte Santo ist das Gelände eben, trocken und steinig, ohne Wege. Rufino setzt seinen Weg fort, er fürchtet, jeden Augenblick eine Patrouille zu sehen. Vormittags findet er Wasser und Eßbares. Kurz danach hat er das Gefühl, nicht allein zu sein. Er sieht sich um, untersucht die Caatinga, kommt, geht: nichts. Und doch ist er nach einiger Zeit sicher: er wird bespäht, von mehreren Leuten. Er versucht sie abzuhängen, ändert die Richtung, versteckt sich, rennt. Zwecklos: es sind Spurensucher, die ihr Metier kennen und immer da sind, unsichtbar und nahe. Resigniert geht er weiter, schon ohne Vorsichtsmaßnahmen, darauf gefaßt, daß sie ihn töten werden. Kurz darauf hört er eine Ziegenherde. Endlich erblickt er eine Lichtung. Noch vor den bewaffneten Männern sieht er das verkrüppelte Albinomädchen mit den blöden Augen. Durchihre zerfetzten Kleider sind blaue Flecke zu sehen. Sie spielt mit einer Handvoll Schafsglocken und einer Holzpfeife, einer von denen, mit welchen die Hirten die Herde rufen. Die Männer, an die zwanzig, lassen ihn herankommen, ohne ihn

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