Der Krieg am Ende der Welt
der mehrere Blätter Papier liegen, und den Gänsekiel tunkt er in ein Tintenfaß, das am Jackenärmel baumelt und einen Flaschenkorken als Verschluß hat. Er sieht fast wie eine Vogelscheuche aus.»Ich bin sechshundert Kilometer weit gereist, um Ihnen diese Fragen zu stellen, Leutnant Pires Ferreira«, sagt er. Und niest.
João Grande wurde am Meer geboren, auf einer Zuckerrohrplantage an der Bucht, deren Besitzer, Cavalheiro Adalberto de Gumucio, ein großer Pferdeliebhaber war. Er rühmte sich, die feurigsten Hengste und die Stuten mit den feinsten Fesseln von ganz Bahia zu besitzen und diese Exemplare ohne englische Zuchthengste erzielt zu haben, nur durch kluge, stets von ihm selbst überwachte Paarung. Daß er das gleiche auch mit seinem Sklaven machte, dessen rühmte er sich (öffentlich) weniger, um nicht den Bodensatz jener Auseinandersetzungen wiederaufzurühren, die ihm dieses Vorgehen seitens der Kirche und sogar des Barons de Canabrava zugezogen hatte, aber Tatsache war, daß er mit den Sklaven auf die gleiche Weise verfuhr wie mit seinen Pferden. Sein Auge und Inspiration diktierten ihm das Verfahren. Es bestand darin, die am schönsten gewachsenen und geschmeidigsten Negerinnen auszusondern und sie von Negern beschlafen zu lassen, die er aufgrund ihrer harmonischen Züge und leuchtenden Hautfarbe als die reinsten bezeichnete. Die besten Paare wurden besonders ernährt und erhielten Arbeitserleichterungen, damit sie in der Lage waren, möglichst oft zu befruchten. Der Kaplan, die Missionare und die Geistlichen von Salvador hatten den Herrn mehrmals ermahnt, die Neger nicht so zu paaren, daß sie »in Unzucht lebten wie Tiere«, aber statt seinen Praktiken ein Ende zu setzen, bewirkte der Tadel nur, daß er sie künftig etwas diskreter betrieb.
João Grande war das Ergebnis einer dieser Kombinationen des auf Perfektion versessenen Gutsbesitzers. In seinem Fall war das Erzeugnis prachtvoll. Der Knabe hatte quicklebendige Augen und seine Zähne erfüllten sein rundes Gesicht mit Licht, sooft er lachte. Er war gelockt, anmutig, verspielt, und seine Mutter, eine schöne Frau, die alle neun Monate gebar, sah eine außergewöhnliche Zukunft für ihn voraus. Sie täuschte sich nicht. Cavalheiro de Gumucio vernarrte sich in den Kleinen, als er noch auf allen vieren kroch, und weil er dachte, er könnte einen Pagen für seine Töchter abgeben und später Butler oderKutscher werden, nahm er ihn aus der Sklavenbaracke heraus und brachte ihn ins Herrenhaus, einen rechteckigen Bau mit vierseitigem Dach, toskanischen Säulen und einer Holzveranda, von der aus man die Zuckerrohrfelder überblicken konnte, die klassizistische Kapelle, die Fabrik, in der das Zuckerrohr gemahlen wurde, die Destillation und eine Allee von Königspalmen. Er wollte nicht, daß er sich frühzeitig verwuchs wie so viele andere Kinder, die zum Roden, Pflanzen und Schneiden des Zuckerrohrs eingesetzt wurden.
Aber diejenige, die sich João Grande aneignete, war Senhorita Adelinha de Gumucio, die unverheiratete, bei ihrem Bruder lebende Schwester des Hausherrn. Sie war hager und klein, hatte eine Nase, die alle üblen Gerüche der Welt aufzuspüren schien, und ihre Zeit verbrachte sie mit Dingen, für die sie Begabung hatte: sie strickte Hauben und Umhänge, stickte Tischdecken, Bettüberwürfe und Blusen oder bereitete Leckereien vor, die sie selbst meist nicht einmal kostete: Mandeltorten, Sahnekrapfen, Schokolademerengen und luftige Hefeteige, die das Entzücken ihrer Neffen und Nichten, ihrer Schwägerin und ihres Bruders waren. Senhorita Adelinha verliebte sich in João Grande an dem Tag, als sie ihn den großen Wasserbehälter hinaufklettern sah. Sie erschrak, als sie das Kind, das noch kaum stehen konnte, zwei Meter über dem Boden erblickte, und befahl ihm herunterzukommen, aber João Grande stieg die Leiter noch höher hinauf. Als die Senhorita einen Diener rief, war er oben angekommen und ins Wasser gefallen. Prustend und spuckend, die Augen kreisrund vor Schreck, so fischten sie ihn heraus. Adelinha entkleidete ihn, steckte ihn in frische Wäsche und trug ihn im Arm, bis er eingeschlafen war.
Bald darauf stellte die Schwester des Cavalheiro de Gumucio eine Wiege, in der ihre Nichten gelegen hatten, in ihr Schlafzimmer und ließ ihn neben sich schlafen, wie andere Damen eine vertraute Dienerin oder ein Schoßhündchen. Sie zog ihm marineblaue, blutrote oder goldgelbe Kleidchen an, die sie selbst nähte. Jeden Abend begleitete er sie
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