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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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auf eine Anhöhe, von der aus die Inseln zu sehen waren und die untergehende Sonne, die sie in flammendes Rot tauchte, und er kam auch mit, wenn sie zu Besuchen oder Wohltätigkeitszwecken in die Arbeiterdörfer ging. Sonntags ging er mit ihr in die Kirche und trug ihrden Betschemel. Die Senhorita lehrte ihn, die Wollstränge zu halten, damit sie Knäuel wickeln konnte, die Garnrollen am Webstuhl auszuwechseln, die Farben zu sortieren, die Nadel einzufädeln und ihr in der Küche zur Hand zu gehen. Gemeinsam maßen sie die Kochzeit, indem sie laut die im Rezept vorgeschriebenen Vaterunser beteten. Sie selbst bereitete ihn auf die Erstkommunion vor, ging mit ihm zum Abendmahl und kochte ihm zur Feier des Tages eine köstliche Schokolade.
    Aber mit João geschah nicht, was mit einem Kind hätte geschehen sollen, das zwischen Tapeten, Palisandermöbeln, mit Damast und Seide bezogen, und Schränken voll Kristall im Schatten einer zarten, weiblichen Beschäftigungen hingegebenen Frau aufwuchs. João Grande wurde nicht, wie Haussklaven sonst, ein sanftes, fügsames Geschöpf. Schon als Kind war er so ungewöhnlich kräftig, daß er João Meninho, dem Sohn der Köchin, um Jahre voraus zu sein schien, obwohl beide gleichaltrig waren. Er war brutal in seinen Spielen, und die Senhorita pflegte betrübt zu sagen: »Er eignet sich nicht für ein zivilisiertes Leben. Er sehnt sich nach dem Urwald.« Denn der Bub lauerte auf jede Gelegenheit, um draußen auf dem Feld herumzuspringen. Als sie einmal durch die Zuckerrohrfelder gingen und die Senhorita sah, wie er sehnsüchtig die Neger betrachtete, die halbnackt mit der Machete zwischen den grünen Blättern arbeiteten, meinte sie: »Du beneidest sie wohl?« Und er erwiderte: »Ja, Herrin, ich beneide sie.« Einige Zeit danach ließ ihm Cavalheiro de Gumucio eine schwarze Armbinde anlegen und schickte ihn zu den Arbeiterhäusern der Zuckerfabrik, damit er der Beerdigung seiner Mutter beiwohnen konnte. João war nicht sonderlich ergriffen, da er sie nur selten gesehen hatte. Aber während der ganzen Trauerfeier unter dem Strohdach und auch im Zug zum Friedhof fühlte er sich irgendwie unbehaglich unter Negerinnen und Negern, die ihn anstarrten, ohne ihre Verachtung oder ihren Neid auf seine Pumphosen, seine gestreifte Bluse und seine Schuhe zu verbergen, die so sehr gegen ihre groben Leinenkittel und bloßen Füße abstachen. Nie zeigte er sich liebevoll gegen seine Herrin, was die Familie Gumucio zu der Annahme veranlaßte, er sei einer von diesen gefühllosen Rohlingen, die imstande waren, auf die Hand zu spucken, die ihnen zu essen gab. Aber selbst aufgrundsolcher frühen Anzeichen konnten sie nicht ahnen, daß João fähig sein würde, das zu tun, was er tat.
    Es geschah auf einer Reise Senhorita Adelinhas zum Kloster Encarnação, in dem sie jedes Jahr in Klausur ging. João Meninho kutschierte, João Grande saß neben ihm auf dem Bock. Die Reise dauerte ungefähr acht Stunden. Im Morgengrauen brachen sie von der Fazenda auf, um am Nachmittag im Kloster zu sein. Aber zwei Tage später schickten die Nonnen einen Boten, um anzufragen, warum die Senhorita nicht zum vorgesehenen Datum gekommen sei. Cavalheiro de Gumucio leitete selbst die Ermittlungen der Polizei von Bahia und der Sklaven seiner Fazenda. Einen Monat lang durchsuchten sie die Gegend in allen Richtungen und befragten unzählige Leute. Der Fahrweg zwischen der Fazenda und dem Kloster wurde Meter um Meter abgesucht, aber von der Kutsche, den Reisenden und den Pferden fand sich keine Spur. Es war, als wären sie, wie in den phantastischen Geschichten der Troubadoure, auf Nimmerwiedersehen in die Lüfte entschwebt.
    Monate später begann die Wahrheit durchzusickern, als ein Jugendrichter aus Salvador an der Kutsche, die er als Gelegenheitskauf bei einem Händler in der Oberstadt erstanden hatte, das übermalte Monogramm der Familie Gumucio entdeckte. Der Händler gestand, er habe die Kutsche in einem Indianerdorf gekauft, wohl wissend, daß sie gestohlen sei, aber nicht ahnend, daß die Diebe auch Mörder sein könnten. Baron de Canabrava persönlich setzte einen hohen Preis auf die Köpfe von João Meninho und João Grande aus, und Cavalheiro de Gumucio bat dringend, man möge die beiden lebend fangen.
    Eine Räuberbande, die in den Sertões operierte, lieferte João Meninho gegen die Belohnung der Polizei aus. Der Sohn der Köchin war bis zur Unkenntlichkeit schmutzig und zottig, als sie ihn folterten, um ihn zum

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