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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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pflücken konnte, irrte er über die Straßen wie eine Seele im Fegefeuer. Am hellen Tag ging er durch die Dörfer, bettelte um Essen, und das Leid in seinem Gesicht beeindruckte die Leute, die ihm gewöhnlich ein paar Essensreste hinwarfen.
    An einer Wegkreuzung außerhalb von Pombal stieß er eines Tages auf eine Handvoll Leute, die den Worten eines mageren, in ein violettes Gewand gekleideten Mannes lauschten. Das Haar fiel ihm bis auf die Schultern, und seine Augen brannten wie glühende Kohlen. Er sprach vom Teufel, den er Luzifer, Hund, Tier und Beelzebub nannte, von den Plagen und denVerbrechen, die er über die Welt bringe, und von dem, was die Menschen tun müßten, wenn sie das Heil erlangen wollten. Seine Stimme klang überzeugend, drang ohne den Umweg über den Kopf in die Seele, und selbst einem Verirrten wie ihm erschien sie als ein Balsam, der alte, schreckliche Wunden heilte. Bewegungslos, ohne mit der Wimper zu zucken, lauschte ihm João Grande, bis ins Mark erschüttert von dem, was er hörte, und von dem Wohlklang, mit dem gesagt wurde, was er hörte. Manchmal verschleierten ihm die Tränen in seinen Augen die Gestalt des Heiligen. Als er seinen Weg fortsetzte, folgte er ihm in einiger Entfernung, wie ein scheues Tier.
    Ein Schmuggler und ein Arzt waren in Salvador de Bahia de Todos os Santos (kurz Bahia oder Salvador genannt) die einzigen Menschen, die Galileo Gall näher kannten, und die ersten, die ihm das Land erklärten, obgleich keiner von beiden die Ansichten über Brasilien teilte, die der Revolutionär in seinen (damals zahlreichen) Briefen an L’Etincelle de la révolte äußerte. Der erste, wenige Tage nach dem Schiffbruch geschrieben, enthielt eine Schilderung Bahias: »... ein Kaleidoskop, in welchem der in Geschichte Bewanderte alle Gebrechen, die den einzelnen Etappen der Menschheit zur Schande gereichen, nebeneinander existieren sieht.« Dieser Brief bezog sich auf die Sklaverei, die, obwohl abgeschafft, de facto weiterbestand, denn um nicht zu verhungern, waren viele Neger zu ihren Herren zurückgekehrt und hatten sie angefleht, sie wieder aufzunehmen. Die Herren stellten, gegen Hungerlöhne, nur die nützlichen Arme ein, weshalb die Straßen von Bahia nach den Worten Galls »überquellen von bettelnden oder stehlenden Alten, Kranken und Armen sowie von Prostituierten, die einem Alexandria und Algier ins Gedächtnis rufen, die verkommensten Häfen der Welt«.
    Der zweite, zwei Monate später geschriebene Brief über »den schändlichen Bund zwischen Obskurantismus und Ausbeutung«, beschrieb den sonntäglichen Aufmarsch der vermögenden Familien, wenn sie zur Messe in die Kirche Nossa Senhora da Conceição da Praia gingen und Diener ihnen Betschemel, Kerzen, Meßbücher nachtrugen und Sonnenschirme über dieDamen hielten, damit ihre Wangen nicht Schaden litten an der Sonne. »Diese Damen«, schrieb Gall, »haben, wie die englischen Beamten in den Kolonien, die weiße Haut zum Paradigma und Inbegriff der Schönheit gemacht.« Doch in einem späteren Artikel erklärte der Phrenologe seinen Genossen in Lyon, daß sich in diesem Land, ungeachtet der Rassenvorurteile, Abkömmlinge von Portugiesen, Indios und Afrikaner weitgehend vermischt und eine bunte Vielzahl von Varietäten hervorgebracht hätten, deren jede, fügte er hinzu, »eine Herausforderung an die Wissenschaft darstellt«. Diese Vielfalt von Menschentypen, dazu die aus diesem oder jenem Grund hier gestrandeten Europäer, verliehen Bahia eine bunte, kosmopolitische Atmosphäre.
    Unter diesen Ausländern fand Galileo Gall, der das Portugiesische damals erst radebrechte, seine ersten Bekannten. Er wohnte zuerst im Hôtel des Etrangers in Campo Grande, aber als er sich mit dem alten Jan van Rijsted anfreundete, trat ihm dieser eine Kammer in seiner Wohnung über der Buchhandlung Catilina ab und besorgte ihm Privatschüler für den Unterricht in Französisch und Englisch, damit er sich sein Essen verdienen konnte. Van Rijsted war holländischen Ursprungs, in Olinda geboren und hatte seit seinem vierzehnten Jahr (und ohne je ins Gefängnis zu kommen) Schmuggel mit Kakao, Seiden, Gewürzen, Tabak, Alkohol und Waffen zwischen Europa und Amerika betrieben. Daß er nicht reich geworden war, daran waren seine Geschäftspartner schuld: Kaufleute, Reeder, Kapitäne, die ihm einen guten Teil seiner Gewinne abgenommen hatten. Gall war überzeugt, daß auch Räuber – große Halunken wie kleine Schelme – gegen den Feind, den Staat,

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