Der Krieg am Ende der Welt
helfen?«
»Und dennoch, trotz ihrem Elend, sind diese Leute glücklich«, stammelt Pater Joaquim, als hätte er ihn nicht gehört. Seine Augen wandern unruhig zwischen Moreira César, Tamarindo und Cunha Matos hin und her. »So glücklich, wie ich es an anderen nie gesehen habe, Senhor. Es ist schwer zu glauben, auch für mich. Aber es ist so. Er hat ihnen eine geistige Ruhe gegeben, eine Unempfindlichkeit gegen Entbehrungen und Leiden, es ist das reine Wunder.«
»Sprechen wir von den Sprengkugeln«, sagt Moreira César.
»Sie explodieren im Körper wie eine Granate und hinterlasseneinen tiefen Krater im Fleisch. Die Ärzte haben solche Wunden in Brasilien noch nicht gesehen. Woher kommen sie? Ist das auch ein Wunder?«
»Ich kenne mich mit Waffen nicht aus«, stottert Pater Joaquim.
»Sie werden das nicht glauben, aber es stimmt, Exzellenz. Ich schwöre es bei dem Kleid, das ich trage. Dort geschieht etwas Außergewöhnliches. Diese Leute leben in der Gnade Gottes.« Der Oberst blickt ihn spöttisch an. Aber der Journalist hat seinen Durst vergessen und hängt an den Worten des Pfarrers, als ob von dem, was er sagt, Leben oder Tod für ihn abhinge.
»Heilige, Gerechte, biblische Gestalten, Auserwählte Gottes? Das soll ich schlucken?« sagt der Oberst. »Und dieselben Leute brennen Fazendas ab, morden und nennen die Republik Antichrist?«
»Sie mißverstehen mich, Exzellenz«, kreischt der Gefangene auf. »Sie haben schreckliche Untaten begangen, selbstverständlich. Aber, aber ...«
»Aber Sie sind ihr Komplize«, murmelt der Oberst. »Welche Priester helfen ihnen noch?«
»Es ist schwer zu erklären«, senkt der Pfarrer von Cumbe den Kopf. »Anfangs bin ich nur hingegangen, um die Messe zu lesen, und nie habe ich eine solche Inbrunst, eine solche Teilnahme erlebt. Unfaßbar, der Glauben dieser Leute, Senhor. Wäre es nicht eine Sünde gewesen, ihnen den Rücken zu kehren? Deshalb bin ich weiter hingegangen, trotz des erzbischöflichen Verbots. Wäre es nicht eine Sünde gewesen, Leute, die glauben, wie ich nie Menschen habe glauben sehen, ohne Sakramente zu lassen? Für sie ist die Religion alles. Ich öffne Ihnen mein Gewissen. Ich weiß, daß ich kein würdiger Priester bin, Senhor.«
Der kurzsichtige Journalist möchte plötzlich sein Schreibbrett, seine Federn, sein Tintenfaß, seine Papiere bei sich haben. »Ich hatte eine Lebensgefährtin, ich habe viele Jahre lang ein eheliches Leben geführt«, stottert der Pfarrer von Cumbe. »Ich habe Kinder, Senhor.«
Er läßt den Kopf hängen, zittert, und bestimmt, denkt der kurzsichtige Journalist, der das Auflachen von Major Cunha Matos überhört hat, bestimmt ist sein Gesicht unter der Schmutzkruste rot vor Scham.»Daß ein Pfarrer Kinder hat, raubt mir den Schlaf nicht«, sagt Moreira César. »Aber daß die katholische Kirche auf seiten der Umstürzler steht, das schon. Welche Priester unterstützen Canudos noch?«
»Und er hat mir eine Lehre erteilt«, sagt Pater Joaquim. »Er hat mir gezeigt, daß er fähig war, unter Verzicht auf alles, nur in der Hingabe an das Geistliche, das Wichtigste, zu leben. Sollten denn Gott und die Seele nicht wichtiger sein als alles sonst?« »Der Ratgeber?« fragt Moreira César sarkastisch. »Ein Heiliger, sicherlich.«
»Ich weiß es nicht, Exzellenz«, sagt der Gefangene. »Seit er vor vielen Jahren nach Cumbe gekommen ist, frage ich mich das alle Tage. Ein Verrückter, dachte ich anfangs, genau wie die Geistlichkeit. Im Auftrag des Erzbischofs kamen ein paar Kapuzinermönche, um nachzusehen. Sie haben nichts begriffen, auch sie sagten, er sei ein Verrückter. Aber wie ist es dann zu erklären, Senhor? Diese Bekehrungen, diese Heiterkeit des Geistes, die Glückseligkeit so vieler elender Menschen?«
»Und wie erklären Sie sich die Verbrechen, die Vernichtung von Eigentum, die Angriffe auf das Heer?« unterbricht ihn der Oberst.
»Sicher, sicher, das ist nicht zu entschuldigen«, pflichtet Pater Joaquim bei. »Aber sie wissen nicht, was sie tun. Das heißt, es sind Verbrechen, die sie in gutem Glauben begehen. Aus Liebe zu Gott, Senhor. Es ist eine große Verwirrung, sicher.«
Entsetzt blickt er sich um, als könnte, was er gesagt hat, eine Tragödie hervorrufen.
»Wer hat diesen Unseligen eingetrichtert, daß die Republik der Antichrist ist? Wer hat aus diesem religiösen Wahnsinn einen bewaffneten Aufstand gegen das Regime gemacht? Das möchte ich wissen, Herr Pfarrer.« Moreira César spricht lauter,
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