Der Krieg am Ende der Welt
wird das Ergebnis eines Mißverständnisses sein.«
Er merkte, daß Gall ihm nicht zuhörte. Er war dabei, die beschriebenen Blätter auf dem Nachttisch zusammenzuraffen. Er reichte sie ihm:
»Das ist eine kurze Darstellung dessen, was ich bin, was ich denke.« Sein Blick, seine Hände, seine Haut schienen zu vibrieren. »Vielleicht sind Sie nicht die geeignete Person, der ich das hinterlassen sollte, aber eine andere ist nicht da. Lesen Sie es. Und wenn Sie es danach an die angegebene Adresse in Lyon schicken würden, wäre ich Ihnen dankbar. Es ist eine Zeitschrift, ein paar Freunde geben sie heraus. Ich weiß nicht, ob sie noch erscheint ...« Er schwieg, als schäme er sich über etwas.
»Wann kann ich gehen?«
»Jetzt gleich«, sagte der Baron. »Ich nehme an, ich brauche Sie nicht darauf aufmerksam zu machen, was Sie riskieren. Am wahrscheinlichsten ist, daß Sie dem Heer in die Hände fallen. Und der Oberst wird Sie auf jeden Fall töten.«
»Tote tötet man nicht, Baron, wie Sie selbst sagten«, erwiderte Gall. »Erinnern Sie sich, ich wurde ja schon in Ipupiará getötet ...«
V
Die Augen starr auf die Büsche geheftet, rückt die Gruppe Soldaten auf dem sandigen Gelände vor. In aller Gesichter ist Hoffnung, nur nicht in dem des kurzsichtigen Journalisten, der seit dem Aufbruch aus dem Lager denkt: Es ist zwecklos. Er hat nichts gesagt, was diesen Defätismus verriete, gegen den er ankämpft, seit das Wasser rationiert wurde. Das wenige Essen ist für ihn, den ewig Appetitlosen, kein Problem. Aber Durst erträgt er schwer. Jeden Augenblick ertappt er sich dabei, daß er nachrechnet, wann er nach dem vom Regiment aufgestellten strengen Stundenplan den nächsten Schluck Wasser trinken darf. Vielleicht hat er deswegen die Patrouille von Hauptmann Olimpio de Castro begleitet. Vernünftiger wäre es gewesen, während der paar Stunden im Lager auszuruhen. Ihn, den schlechten Reiter, wird der Ritt ermüden und – versteht sich – noch durstiger machen. Aber nein, im Lager überfiele ihn nur die Angst, er würde sich in düsteren Vermutungen ergehen. Hier muß er sich wenigstens darauf konzentrieren, nicht vom Pferd zu fallen. Er weiß, daß seine Brille, seine Kleider, sein Körper, sein Schreibbrett, sein Tintenfaß für die Soldaten ein Anlaß zum Spott sind. Aber das stört ihn nicht.
Der Spurenleser, der die Gruppe führt, deutet auf den Brunnen. Der Journalist braucht nur den Gesichtsausdruck des Mannes zu sehen, um zu wissen, daß auch dieser Brunnen von den Jagunços zugeschüttet worden ist. Die Soldaten laufen mit ihren Gefäßen hin, drängeln sich vor; er hört die Büchsen gegen den Stein scheppern und sieht die Enttäuschung, die Bitterkeit der Männer. Was tut er hier? Warum ist er nicht in seinem schlampigen Häuschen in Salvador bei seinen Büchern geblieben? Er würde jetzt eine Pfeife Opium rauchen und sich dem großen Frieden überlassen.
»Gut, es war zu erwarten gewesen«, murmelt Hauptmann Olimpio de Castro. »Wie viele Brunnen gibt es hier noch?«
»Nur noch zwei«, der Spurensucher macht eine skeptische Geste. »Ich glaube nicht, daß es lohnt.«
»Trotzdem, sehen Sie nach, Sergeant«, unterbricht ihn der Hauptmann. »Vor Anbruch der Nacht müssen Sie zurück sein.«Der Offizier und der Journalist reiten ein Stück mit dem Rest der Patrouille, und als sie das Gestrüpp schon weit hinter sich haben, sich schon wieder auf der verbrannten Ebene bewegen, hören sie plötzlich den Spurenleser murmeln, die Prophezeiungen des Ratgebers erfüllten sich: Der gute Jesus wird Canudos einschließen in einen Kreis, und jenseits dieses Kreises wird alles pflanzliche, tierische und zuletzt auch menschliche Leben verschwinden.
»Und was tust du bei uns, wenn du das glaubst?« fragt ihn Olimpio de Castro.
Der Spurenleser faßt sich an die Kehle:
»Ich habe vor dem Halsabschneider mehr Angst als vor dem Hund.«
Ein paar Soldaten lachen. Der Hauptmann und der Journalist lassen die Patrouille hinter sich. Sie traben eine Weile, bis der Offizier aus Mitleid mit seinem Gefährten sein Pferd im Schritt gehen läßt. Erleichtert nimmt der Journalist unter Mißachtung des Stundenplans einen Schluck Wasser. Eine dreiviertel Stunde später sehen sie die Lagerbaracken.
Sie passieren den ersten Posten, als der Staubwirbel einer anderen, aus Norden kommenden Patrouille zu ihnen stößt. Der Leutnant, der sie befehligt, ein junger, mit Erde verkrusteter Mann, sieht froh aus.
»Und?« sagt Olimpio de
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