Der Krieg am Ende der Welt
Castro als Begrüßung. »Haben Sie ihn?«
Mit dem Kinn zeigt ihn der Leutnant. Der kurzsichtige Journalist entdeckt den Gefangenen. Er hat die Hände gefesselt, sieht zu Tode erschrocken aus, und dieser Kittel muß einmal seine Soutane gewesen sein. Er ist klein, robust, dickbäuchig, seine Schläfen sind grau. Seine Augen wandern nach allen Seiten. Die Patrouille zieht weiter, gefolgt von Hauptmann Castro und dem Journalisten. Vor dem Zelt des Chefs des Siebten Regiments klopfen zwei Soldaten dem Gefangenen die Kleider aus. Seine Ankunft macht Wirbel, Soldaten kommen herzu und beobachten ihn. Dem kleinen Männlein klappern die Zähne, Panik liegt in seinem Blick, als fürchte er, geschlagen zu werden. Der Leutnant schleppt ihn ins Zelt, und der kurzsichtige Journalist schleicht sich hinter beiden hinein.»Auftrag erfüllt, Exzellenz«, sagt der junge Offizier, die Hacken zusammenschlagend.
Moreira César steht von dem Klapptisch auf, an dem er zwischen Oberst Tamarindo und Major Cunha Matos gesessen hat. Er tritt auf den Gefangenen zu und mustert ihn mit seinen kleinen kalten Augen. Sein Gesicht verrät keinerlei Erregung, doch der Journalist bemerkt, daß er sich auf die Unterlippe beißt, wie immer, wenn er aufgeregt ist.
»Gute Arbeit, Leutnant«, sagt er, ihm die Hand hinstreckend.
»Ruhen Sie jetzt aus.«
Der kurzsichtige Journalist sieht die Augen des Oberst einen Moment auf sich gerichtet und fürchtet, er werde ihm befehlen zu gehen. Doch er tut es nicht. Er mustert eingehend den Gefangenen. Sie sind fast gleich groß, nur ist der Offizier sehr viel schlanker.
»Sie sterben ja vor Angst.«
»Ja, Exzellenz, so ist es«, stottert der Gefangene. Vor Zittern kann er kaum sprechen. »Ich bin mißhandelt worden. Mein Priesterstand ...«
»Hat Sie nicht daran gehindert, Ihre Dienste dem Feind des Vaterlandes zur Verfügung zu stellen«, fällt ihm der Oberst ins Wort. Er geht ein paar Schritte auf und ab vor dem Pfarrer von Cumbe, der den Kopf gesenkt hat.
»Ich bin ein friedliebender Mensch, Exzellenz«, winselt er.
»Nein, Sie sind ein Feind der Republik, Sie stehen im Dienst restaurativer Umstürzler und einer ausländischen Macht.«
»Einer ausländischen Macht?« stammelt Pater Joaquim. Seine Verblüffung ist so groß, daß sie die Angst verdrängt.
»Ihnen nehme ich das abergläubische Gefasel als Ausrede nicht ab«, fügt Moreira César leise hinzu. »Diesen Unsinn vom Ende der Welt, dem Teufel und Gott.«
Die übrigen Personen verfolgen schweigend die Schritte des Oberst. Der kurzsichtige Journalist spürt den Juckreiz in seiner Nase, der dem Niesen vorausgeht, und ist, er weiß nicht warum, darüber erschrocken.
»Ihre Angst zeigt, daß Sie recht gut Bescheid wissen, Herr Pfarrer«, sagt Moreira César schneidend. »Wir haben in der Tat die Mittel, auch den tapfersten Jagunço zum Sprechen zu bringen. Also halten Sie uns nicht unnötig auf.«»Ich habe nichts zu verbergen«, stottert der Pfarrer und schlottert wieder. »Ich weiß nicht, ob ich gut oder schlecht gehandelt habe, ich kenne mich nicht mehr aus.«
»Vor allem die Komplizen außerhalb«, unterbricht ihn der Oberst, und der kurzsichtige Journalist bemerkt, daß er nervös die auf dem Rücken verschränkten Finger bewegt. »Die Großgrundbesitzer, die Politiker, die Militärberater, einheimische oder englische.«
»Englische?« ruft der Pfarrer fassungslos aus. »Nie habe ich in Canudos einen Ausländer gesehen, nur bedürftige Menschen, die ärmsten der Armen. Welcher Grundbesitzer oder Politiker würde den Fuß in dieses Elend setzen? Das kann ich Ihnen versichern, Senhor. Es sind Leute dabei, die von weither gekommen sind, natürlich. Aus Pernambuco, aus Piauí. Das gehört zu den Dingen, die mich überrascht haben. Wie können so viele Leute ...«
»Wie viele?« unterbricht ihn der Oberst, und das Pfäfflein zuckt zusammen.
»Tausende«, murmelt er. »Fünftausend, achttausend, ich weiß es nicht. Die Ärmsten, die Schutzlosesten. Und das sagt Ihnen einer, der viel Elend gesehen hat. Elend gibt es hier überall, durch die Dürre, die Seuchen. Aber dort sind alle auf einem Haufen, als hätten sie sich verabredet, als hätte Gott sie zusammengeführt: Kranke, Krüppel, Leute ohne jede Hoffnung. War es da nicht meine Pflicht als Priester, bei ihnen zu sein?«
»Es war seit je die Politik der katholischen Kirche, dort zu sein, wo ihr Vorteil liegt«, sagt Moreira César. »Hat Ihnen Ihr Bischof befohlen, den Aufständischen zu
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