Der Krieg am Ende der Welt
seine Stimme klingt schrill: »Wer hat diese armen Leute in den Dienst von Politikern gestellt, die in Brasilien die Monarchie wiederherstellen wollen?«
»Sie sind keine Politiker, sie verstehen nichts von Politik«, kreischt Pater Joaquim. »Sie sind gegen die Zivilehe, daher das mit dem Antichrist. Sie sind reine Christen, Senhor. Sie können nicht begreifen, warum es eine Zivilehe geben soll, wo es doch das von Gott eingesetzte Sakrament gibt.«Doch dann quietscht er auf und verstummt, denn Moreira César hat die Pistole gezogen. Er entsichert sie in aller Ruhe und zielt auf die Schläfe des Gefangenen. Das Herz des kurzsichtigen Journalisten geht wie eine Trommel, seine Schläfen schmerzen von der Anstrengung, das Niesen zurückzuhalten.
»Töten Sie mich nicht, bei allem, was Ihnen teuer ist, Exzellenz, Senhor!« Er ist auf die Knie gefallen.
»Trotz meiner Warnung halten Sie uns nur hin, Herr Pfarrer«, sagt der Oberst.
»Es ist wahr, ich habe ihnen Arzneien gebracht, Vorräte, ich habe Besorgungen für sie gemacht«, winselt Pater Joaquim.
»Auch Sprengkugeln habe ich ihnen gebracht, Pulver, Platzpatronen. Ich habe sie in den Minen von Caçabú gekauft. Es war ein Fehler, sicher. Ich weiß nicht, Senhor, ich habe mir das nicht überlegt. Sie haben mich unsicher gemacht mit diesem Glauben, dieser Heiterkeit des Geistes, die ich selber nie gehabt habe und um die ich sie beneide. Töten Sie mich nicht.«
»Wer hilft ihnen?« fragt der Oberst. »Wer gibt ihnen Waffen, Vorräte, Geld?«
»Ich weiß nicht, wer«, heult der Pfarrer. »Das heißt, doch, viele Gutsbesitzer. Das ist der Brauch, Senhor, wie mit den Banditen. Ihnen etwas zu geben, damit sie nicht angreifen und anderswohin gehen.«
»Auch von der Fazenda von Baron de Canabrava bekommen sie Unterstützung?« unterbricht ihn Moreira César.
»Ja, auch von Columbí, nehme ich an, Senhor. Das ist üblich. Aber inzwischen hat sich das geändert, viele sind fortgezogen. Nie habe ich einen Gutsbesitzer, einen Politiker, einen Ausländer in Canudos gesehen. Nur Arme, Senhor. Ich sage Ihnen alles, was ich weiß. Ich bin nicht wie sie, ich will kein Märtyrer werden, töten Sie mich nicht.«
Die Stimme versagt ihm, er zieht den Kopf ein und bricht in Tränen aus.
»Auf dem Tisch liegt Papier«, sagt Moreira César. »Ich will einen detaillierten Plan von Canudos. Gassen, Einfallstraßen, Ortsausgänge, wie der Ort verteidigt ist.«
»Ja, ja.« Pater Joaquim rutscht an den Klapptisch. »Alles, was ich weiß, ich habe keinen Grund zu lügen.«Auf dem Stuhl richtet er sich auf und beginnt zu zeichnen. Moreira César, Tamarindo und Cunha Matos stehen um ihn. Der Journalist in seiner Ecke atmet auf. Er wird den Kopf des Pfäffleins nicht in Stücke springen sehen. Von der Seite sieht er sein angsterfülltes Gesicht beim Zeichnen der verlangten Karte. Er hört ihn überstürzt Fragen nach Schützengräben, Fallen, Wegsperren beantworten. Der kurzsichtige Journalist setzt sich auf den Boden und niest zwei-, drei-, zehnmal. Alles dreht sich in seinem Kopf, und er spürt wieder den Durst. Der Oberst und die anderen Offiziere sprechen mit dem Gefangenen über »Schützennester« und »Vorposten« – was das sein soll, versteht der Pfarrer anscheinend nicht recht –, und der Journalist macht seine Feldflasche auf und nimmt einen langen Schluck und denkt, daß er einmal mehr gegen den Stundenplan verstößt. Zerstreut, benommen, desinteressiert, hört er die Offiziere die wirren Angaben des Pfarrers diskutieren und den Oberst erläutern, wo die Maschinengewehre, die Kanonen aufgestellt werden, wie die Kompanien vorrücken sollen, um die Jagunços scherenförmig einzuschließen. Er hört ihn sagen:
»Wir müssen ihnen jeden Fluchtweg abschneiden.«
Das Verhör ist beendet. Zwei Soldaten kommen den Gefangenen abholen. Ehe er hinausgeht, sagt ihm Moreira César:
»Sie kennen die Gegend. Sie werden den Wegführern helfen. Und uns werden Sie helfen, die Anführer zu identifizieren, wenn es soweit ist.«
»Ich dachte, Sie würden ihn umbringen«, sagt aus einer Ecke der kurzsichtige Journalist, nachdem der Pfarrer abgeführt worden ist.
»Der Herr Pfarrer wird uns in Canudos von Nutzen sein«, antwortet der Oberst. »Und außerdem soll man nur erfahren, daß die Treue der katholischen Kirche zur Republik nicht so aufrichtig ist, wie manche glauben.«
Der Oberst sieht ihn an, als bemerke er erst jetzt seine Anwesenheit.
Der kurzsichtige Journalist verläßt das
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