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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Ohr und irritierte ihn. Aber was konnte ein aristokratischer Großgrundbesitzer, der lebte, als hätte die Französische Revolution nie stattgefunden, von seinen Idealen verstehen? Jemand, für den Idealismus ein Schimpfwort war? Was konnte einer von Canudos verstehen, dem die Jagunços eine Fazenda besetzt hatten und eine andere eben niederbrannten? Ohne Zweifel war Calumbí zur Stunde ein Fraß der Flammen. Er schon, erkonnte dieses Feuer verstehen, er wußte genau, daß es nicht das Werk des Fanatismus oder des Wahnsinns war. Die Jagunços zerstörten das Symbol der Unterdrückung. Eine tiefere, unbewußte Klugheit sagte ihnen, daß sich die Herrschaft des Privateigentums im Verlauf der Jahrhunderte so tief im Geist der Ausgebeuteten verankert hatte, daß ihnen dieses System als auf göttlichem Recht beruhend und die Großgrundbesitzer als Wesen von höherer Natur, als Halbgötter, erscheinen konnten. War Feuer nicht das beste Mittel, die Falschheit dieses Mythos zu beweisen, die Furcht der Opfer zu zerstreuen, die Massen der Hungrigen sehen zu lehren, daß die Macht der Besitzenden nicht unzerstörbar war und die Armen genügend Kraft besaßen, mit ihnen Schluß zu machen? Trotz der religiösen Rückstände, die sie mitschleppten, wußten der Ratgeber und seine Männer, wogegen der Schlag geführt werden mußte: gegen die Grundfesten der Unterdrückung: das Eigentum, das Heer, die obskurantistische Moral. War es ein Fehler gewesen, diese autobiographischen Seiten zu schreiben und dem Baron zu überlassen? Nein, sie würden der Sache nicht schaden. Aber war es nicht absurd, etwas so Persönliches einem Feind anzuvertrauen? Denn der Baron war sein Feind. Dennoch fühlte er keinen Zorn auf ihn. Vielleicht, weil er durch ihn, seit er aus Salvador abgereist war, zum erstenmal wieder das Gefühl hatte, daß er alles verstand, was er hörte, und alles verstanden wurde, was er sagte. Warum hatte er diese Seiten geschrieben? Weil er wußte, daß er sterben würde? Also in einem Anfall bürgerlicher Schwäche, weil er nicht sterben wollte, ohne eine Spur in der Welt zu hinterlassen? Plötzlich fiel ihm ein, er könnte Jurema geschwängert haben. Panische Angst überfiel ihn. Immer war der Gedanke, ein Kind zu haben, bei ihm auf innere Abwehr gestoßen, und vielleicht hatte sie zu dem damals in Rom gefaßten Entschluß sexueller Enthaltsamkeit beigetragen. Er hatte sich immer gesagt, sein Abscheu vor der Vaterschaft sei eine Folge seiner revolutionären Überzeugung. Wie soll ein Mann frei sein für die Aktion, wenn er die Verantwortung für so einen Wurmfortsatz zu tragen hat, der ernährt und gepflegt werden muß? Auch darin war er sich treu geblieben: keine Frau, kein Kind, nichts, was seine Freiheit einschränken, seine Auflehnung schwächen konnte.Als die ersten Sterne kamen, stiegen sie in einem Gehölz aus Velame und Macambira ab. Sie aßen schweigend, und Galileo schlief ein, noch ehe er den Kaffee getrunken hatte. Er hatte einen Angsttraum, voll von Bildern des Todes. Als ihn Ulpino weckte, war es noch tiefe Nacht, und ein Klagelaut war zu hören, vielleicht von einem Fuchs. Der Führer hatte Kaffee heiß gemacht und die Pferde gesattelt. Gall versuchte, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Wie lange arbeitete er schon für den Baron? Was dachte er über die Jagunços? Der Führer antwortete so ausweichend, daß er es aufgab. War es sein ausländischer Akzent, der die Leute so mißtrauisch machte? Oder beruhte die Unmöglichkeit einer Verständigung auf der verschiedenen Art zu fühlen und zu denken?
    In diesem Augenblick sagte Ulpino etwas, das Gall nicht verstand. Er ließ es ihn wiederholen, und nun waren seine Worte klar: Warum er nach Canudos ginge? »Weil dort Dinge geschehen, für die ich mein Leben lang gekämpft habe«, sagte er zu ihm. »Dort erschaffen sie eine Welt ohne Unterdrückung und ohne Unterdrückte, in der alle frei und gleich sind.« In den einfachsten Worten, deren er fähig war, erklärte er ihm, warum Canudos für die Welt wichtig war, weshalb bestimmte Dinge, die die Jagunços taten, mit einem alten Ideal übereinstimmten, für das viele Männer ihr Leben gelassen hatten. Ulpino unterbrach ihn nicht, sah ihn auch nicht an, während er sprach, und Gall wurde das Gefühl nicht los, daß alles, was er sagte, an dem Führer abglitt wie der Wind an den Felsen. Als er schwieg, murmelte Ulpino, den Kopf schief legend und auf eine Art, die Gall seltsam vorkam, er habe geglaubt, er ginge nach

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