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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Mártires hörte Antônio Vilanova, wie João Grande zum Straßenkommandanten sagte: »Wir bringen ihn schon heil in die Kirche, kümmere du dich um den Krieg.« Aber der ehemalige Cangaceiro war auch noch bei ihnen, als der Einschlag der zweiten Kanonenkugel sie auseinanderriß und sie im Schein einer auflodernden Flamme Holztrümmer und Lehmbrocken, Dachziegel und Überreste von Tieren und Menschen in der Luft schweben sahen. Das Geschoß schien in der Santa Inês explodiert zu sein, bei den Obstbauern, oder in der angrenzenden Siedlung, in der so viele Zambos, Mulatten und Neger wohnten, daß sie Mocambo hieß. Am Tor des Tempels trennte sich der Ratgeber von der Gruppe.Er betrat das Gotteshaus, gefolgt von einer Menschenmenge. Draußen, im Dunkeln, hörte Antônio Vilanova, wie sich der Kirchplatz mit Menschen anfüllte, die in der Prozession mitgezogen waren und in der Kirche keinen Platz mehr fanden. Habe ich Angst, dachte er, überrascht von seiner Mutlosigkeit, seinem Wunsch, sich auf der Stelle niederzuhocken zwischen all den Männern und Frauen um ihn. Nein, es war nicht Angst. In seinen Jahren als Kaufmann, bei seinen Reisen mit Waren und Geld quer durch die Sertões hatte er sich oft in Gefahr befunden und sich nicht geängstigt. Und hier in Canudos hatte er gelernt, einen Sinn in den Dingen zu finden, einen letzten Grund für alles, was er tat; er hatte, wie der Ratgeber sagte, »rechnen« gelernt, und das hatte ihn frei gemacht von der Furcht, die ihn früher manche Nacht nicht schlafen ließ und ihm den kalten Schweiß über den Rücken jagte. Nicht Angst war es, sondern Traurigkeit. Eine rauhe Hand schüttelte ihn.
    »Hörst du nicht, Antônio Vilanova?« hörte er João Abade sagen. »Siehst du nicht die Leute? Haben wir nicht alles vorbereitet, um sie aufzunehmen? Worauf wartest du?«
    »Entschuldige«, murmelte er und strich sich über den zur Hälfte kahlen Kopf. »Ich bin ganz durcheinander. Ja, ja, ich komme schon.«
    »Man muß die Leute wegbringen«, sagte der Cangaceiro, ihn rüttelnd. »Sonst werden sie hier in Stücke gerissen.«
    »Ich gehe schon, mach dir keine Sorgen, alles wird klappen«, sagte Antônio. »Ich kümmere mich darum.«
    Während er durch die Menge vorwärtsstolperte, rief er nach Honório, und kurz darauf hörte er ihn: »Da bin ich, Compadre!« Aber noch als er und sein Bruder dabei waren, die Leute zu ermahnen, in die Unterstände in ihren Häusern zu gehen, als sie die Wasserträger riefen, damit sie sich Tragbahren holten, als sie über die Campo Grande in den Laden zurückgingen, kämpfte Antônio gegen eine Traurigkeit an, die ihm die Seele zerriß. Viele Wasserträger warteten schon auf ihn. Er verteilte die aus Schnüren und Rinde hergestellten Bahren und schickte die einen dahin, wo Schüsse gefallen waren, und befahl den anderen, hier zu warten. Seine Frau und seine Schwägerin waren in die Gesundheitshäuser gegangen, und Honórios Söhne standen in den Schützengräben an der Schlucht vonUmburanas. Er schloß den Lagerraum auf, der früher Pferdestall gewesen und nun das Waffenlager von Canudos war, und seine Helfer trugen Kisten mit Sprengkugeln und Geschossen in den Ladenraum. Er schärfte ihnen ein, Munition nur an João Abade oder Boten von ihm abzugeben. Dann überließ er Honório die Verteilung des Schießpulvers und lief mit drei Gehilfen in die Werkstatt in der Menino Jesus, wo die Schmiede seit einer Woche auf sein Geheiß, statt Hufeisen, Spaten, Sicheln und Jagdmesser herzustellen, Tag und Nacht aus Nägeln, Blechbüchsen, Brandmarken, Haken und jeder Art von Metallgegenständen, die sie nur auftreiben konnten, Geschosse für Stutzen und Schleudern anfertigten. Er fand die Schmiede im Zweifel darüber, ob der Befehl, alle Lichter und Feuer zu löschen, auch für sie galt. Er ließ sie die Essen anzünden und ihre Arbeit wiederaufnehmen, nachdem er ihnen geholfen hatte, die Ritzen in den Bretterwänden, die auf den Berg gingen, zu verstopfen. Als er mit einer Kiste voll schweflig riechender Munition in den Laden zurückkehrte, sausten zwei schwere Geschosse durch den Himmel und schlugen weit entfernt bei den Pferchen ein. Er dachte an die Zicklein, die nun mit offenem Leib und ohne Beine daliegen würden, an die Ziegen, die aufgescheucht davonrennen, sich die Beine brechen und in Dornbüschen und Kakteen verfangen würden. Da wurde ihm klar, weshalb er traurig war. Wieder wird alles zerstört werden, wird alles zugrunde gehen, dachte er. Sein Mund

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