Der Krieg am Ende der Welt
Hände wurden feucht. Er wird sie zu sich nehmen, und der Zwerg wird mitgehen. Er begann zu zittern: er sah sich schon allein, seiner Halbblindheit überlassen, verhungernd, verblutend nach einem seiner Zusammenstöße, sterbend vor Angst.»Du hast dir ja außer dem Zwerg noch einen Gefährten mitgebracht«, hörte er den Mann halb bewundernd, halb spöttisch sagen. »Schön, wir sehen uns wieder. Gelobt sei der gute Jesus.«
Jurema gab keine Antwort, und der kurzsichtige Journalist blieb sitzen, gekrümmt, alarmiert, darauf gefaßt – er wußte nicht warum –, einen Fußtritt, einen Schlag, eine Ladung Spucke ins Gesicht zu bekommen.
»Das sind nicht alle«, sagte eine andere Stimme, an der er João Abade erkannte. »Im Lederlager sind noch mehr.«
»Die reichen«, sagte die nun neutral klingende Stimme des ersten Mannes.
»Nein«, sagte João Abade, »sie reichen nicht, wenn es stimmt, daß acht- bis neuntausend kommen. Nicht einmal das Doppelte oder Dreifache würde reichen.«
»Stimmt«, sagte der erste.
Er spürte, daß sie sich bewegten, daß sie hinter ihnen und vor ihnen herumgingen, und erriet, daß sie Gewehre befühlten, aufhoben, an ihnen herumhantierten, sie ans Gesicht hielten, um zu sehen, ob die Visiere ausgerichtet und die Seelen sauber waren. Acht- bis neuntausend? Sollten acht- bis neuntausend
Soldaten kommen?
»Und dabei sind nicht einmal alle in Ordnung, Pajeú«, sagte João Abade. »Siehst du? Der Lauf verbogen, der Abzug zerbrochen, der Kolben gespalten.«
Pajeú? Der da herumging und sich unterhielt, der Jurema angesprochen hatte, war Pajeú? Sie sprachen kurz über den Schmuck der Mutter Gottes, sie erwähnten einen Doktor Aguiar do Nascimento, und mit ihren Schritten näherten und entfernten sich ihre Stimmen. Sämtliche Banditen aus dem Sertão waren hier, alle waren sie fromm geworden. Wer konnte das begreifen? Sie gingen an ihm vorbei, der kurzsichtige Journalist sah die zwei Paar Beine in Reichweite.
»Wollen Sie jetzt die schreckliche und beispielhafte Geschichte von Robert dem Teufel hören?« hörte er den Zwerg fragen.
»Ich kenne sie, ich habe sie tausendmal erzählt. Soll ich sie Ihnen vortragen, Senhor?«
»Jetzt nicht«, sagte João Abade. »Ein andermal. Warum sagst du Senhor zu mir? Weißt du nicht, wie ich heiße?«»Doch, ich weiß es«, murmelte der Zwerg. »Entschuldigen Sie.«
Die Schritte der zwei Männer verhallten, und der Journalist dachte: Der Mann, der seinen Feinden Ohren und Nasen abgeschnitten hat, der sie kastriert hat, der ihnen seine Initialen eingebrannt hat. Der ein ganzes Dorf umgebracht hat, um zu beweisen, daß er der Satan ist. Und Pajeú, der Schlächter, der Viehdieb, der Mörder, der Räuber. Hier, neben ihm, haben sie gestanden. Er fühlte sich benommen und hatte das Bedürfnis zu schreiben.
»Hast du gesehen, wie er mit dir geredet hat, wie er dich angesehen hat?« hörte er den Zwerg sagen. »So ein Glück, Jurema! Er wird dich zu sich nehmen, und du wirst ein Haus und zu essen haben. Denn Pajeú ist einer von denen, die hier befehlen.«
Und was würde aus ihm werden?
Nicht zehn, tausend Fliegen kommen auf einen Einwohner, denkt Leutnant Pires Ferreira. Sie wissen, daß sie unzerstörbar sind. Deshalb bleiben sie sitzen, wenn der Simpel sie verjagen möchte. Es waren die einzigen Fliegen der Welt, die sich nicht von der Stelle rührten, wenn sich, nur Millimeter über ihnen, die Hand bewegte, um sie zu verscheuchen. Herausfordernd beobachteten sie den Toren. Er könnte sie totschlagen, ja, mühelos, aber was wäre damit gewonnen? Zehn, zwanzig Fliegen würden sich sofort an Stelle der erschlagenen materialisieren. Besser, sich wie die Sertanejos mit ihrer Anwesenheit abzufinden. Die ließen zu, daß sie über ihr Essen, ihre Kleider krochen, ihre Häuser und Lebensmittel schwarz machten, sich in die Körper ihrer Neugeborenen einnisteten, und verjagten sie nur von dem Stück Zuckerkruste, das sie eben anbissen, oder spuckten sie aus, wenn sie ihnen in den Mund kamen. Sie waren größer als die Fliegen von Salvador, die einzigen fetten Geschöpfe in dieser Gegend, in der Menschen und Tiere auf ein Minimum an äußerer Erscheinung reduziert zu sein schienen. Er liegt nackt auf seinem Bett im Hotel Continental. Durchs Fenster sieht er den Bahnhof und das Schild: Vila Bela de Santo Antônio das Queimadas . Was haßt er mehr, die Fliegen oderQueimadas, die »schöne Stadt«, in der er das Gefühl hat, krank vor Langeweile, enttäuscht,
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