Der Krieg am Ende der Welt
Monarchie derzeit höchst unangebracht, aber wie den armen Gentil de Castro davon abbringen? Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an ihn erinnern. Ein guter Mann, ein großes Kirchenlicht war er nie ...«
»Er war nicht in Rio, sondern in Petropolis, als aus der Hauptstadt die ersten Nachrichten eintrafen«, hatte der Visconde de Ouro Prêto gesagt. »Ich und mein Sohn, Afonso Celso, ließen ihm ausrichten, er solle sich ja nicht einfallenlassen heimzufahren, seine Zeitungen lägen in Schutt und Asche, sein Haus sei zerstört worden und eine wildgewordene Menschenmenge in der Rua do Ouvidor und dem Largo de São Francisco habe seinen Tod gefordert. Das genügte Gentil de Castro, um sofort nach Hause zu fahren.«
Der Baron stellte ihn sich vor, rosig, seine Koffer packend, während im Militärclub von Rio zwanzig Offiziere vor einem Zirkel und einem Winkel ihr Blut mischten und schworen, Moreira César zu rächen, und eine Liste der Verräter aufstellten, die hingerichtet werden sollten. Der erste Name: Gentil de Castro.
»Im Bahnhof von Meriti kaufte ihm Afonso Celso Zeitungen«, hatte der Visconde de Ouro Prêto weitererzählt. »Gentil de Castro konnte nachlesen, was am Tag zuvor in der Bundeshauptstadt geschehen war. Die Meetings, die Schließung von Geschäften und Theatern, die auf Halbmast gesetzten Fahnen und die Trauerschleifen an den Balkonen, den Sturm auf die Zeitungen, die Überfälle. Und selbstverständlich auch die sensationelle Nachricht in A República : ›Die Gewehre, die in der Gazeta de Notícias entdeckt wurden, sind von gleichem Fabrikat und Kaliber wie die aus Canudos.‹ Und was, glauben Sie, war seine Reaktion?
›Ich habe keine Wahl, ich muß Alcindo Guanabara meine Sekundanten schicken‹, hatte Oberst Gentil de Castro gemurmelt und sich den weißen Schnurrbart gestrichen. ›Er hat die Gemeinheit zu weit getrieben.‹«
Der Baron lachte. Er wollte sich duellieren, dachte er. Etwas anderes fiel ihm nicht ein, als sich mit dem Epaminondas Gonçalves von Rio zu duellieren. Während die Menge nach ihm suchte, um ihn zu lynchen, dachte er an Sekundanten im schwarzen Anzug, an Degen, an Herausforderungen bis zum ersten Blut oder bis zum Tod. Die Augen wurden ihm feucht vom Lachen, und der kurzsichtige Journalist betrachtete ihn erstaunt. Während das geschah, reiste er, der Baron, nach Salvador, verblüfft zwar über die Niederlage von Moreira César, aber in Wirklichkeit besessen von dem Gedanken an Estela, die Stunden zählend, die noch fehlten, bis die Ärzte des Portugiesischen Krankenhauses und der Medizinischen Fakultät ihn beruhigen und ihm versichern würden, daß es sich umeine vorübergehende Krise handle, daß die Baronin wieder die fröhliche, kluge, vitale Frau sein würde wie früher. Er war so verstört gewesen von dem, was seiner Frau geschah, daß er sich nur wie im Traum an seine Verhandlungen mit Epaminondas Gonçalves erinnerte, an seine Gefühle, als er von der großen nationalen Mobilmachung zur Bestrafung der Jagunços erfuhr, der Entsendung von Freiwilligenkorps, den Tombolas und Verlosungen, bei denen die Damen ihre Juwelen und ihr Haar versteigerten, um neue Kompanien aufzustellen, die auszögen, die Republik zu verteidigen. Wieder hatte er dieses Schwindelgefühl wie damals, als ihm die Ausmaße dieses Labyrinths an Irrtümern, Wahnvorstellungen und Grausamkeiten bewußt geworden war.
»In Rio angekommen, schlichen sich Gentil de Castro und Afonso Celso in das Haus von Freunden am Bahnhof São Francisco Xavier«, hatte der Visconde erzählt. »Dort traf ich mich mit ihm, heimlich. Freunde führten mich, abgeschirmt, von einer auf die andere Seite wechselnd, um mich vor der Menge zu schützen, die immer noch auf den Straßen herumzog. Wir brauchten ziemlich lange, bis wir Gentil de Castro davon überzeugt hatten, daß wir nichts anderes tun konnten, als so schnell wie möglich aus Rio und aus Brasilien zu fliehen.« Es wurde verabredet, den Visconde und den Oberst gut vermummt an den Bahnhof zu bringen, Sekunden vor halb sieben abends, der Abfahrt des Zuges nach Petropolis. In Petropolis sollten sie auf einer Fazenda bleiben, während ihre Flucht ins Ausland vorbereitet würde.
»Aber das Schicksal war auf seiten der Mörder«, murmelte der Visconde. »Der Zug hatte eine halbe Stunde Verspätung. Unterdessen erregte die Gruppe Verkleideter, die wir waren, allmählich Aufmerksamkeit. Demonstranten kamen und liefen unter Hochrufen auf Marschall Floriano und
Weitere Kostenlose Bücher