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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Macambira zu treffen. Die Rast hat ihm gutgetan und daß er getrunken und gegessen hat. Die Muskeln schmerzen nicht mehr, die Wunde brennt weniger. Schnell, ohne Deckung zu suchen, geht er auf dem schmalen Streifen über der Schlucht, der häufig ausgefranst ist, so daß sie Schlangenlinien wandern müssen. Zu seinen Füßen die Kolonne, die ihren Vormarsch fortsetzt. Die Spitze ist schon weit vorne, steigt vielleicht schon die Favela hoch, da sie selbst aus einer Perspektive ohne Hindernis nicht mehr zu erkennen ist. Es ist eine Riesenschlange, denkt Pajeú. Jedes Bataillon ein Ring, die Uniformen die Schuppen, der Pulverdampf der Kanonen das Gift, mit dem sie ihre Opfer lähmt. Er würde der Frau gern erzählen, was er alles erlebt hat.
    Da hört er Schüsse. Alles ist gekommen, wie João Abade es geplant hat. Schon beschießen die Jagunços von den Umburanas-Felsen aus die Schlange, um ihr den letzten Stoß inRichtung Favela zu versetzen. Hinter einer Anhöhe, die sie umgangen haben, sehen sie ein Peloton Reiter heraufkommen. Er beginnt zu schießen, auf die Tiere, damit sie in die Schlucht stürzen. Was für gute Pferde, wie sie den steilen Hang herauf springen! Zwei trifft er, aber mehrere andere erreichen die Höhe. Pajeú gibt Befehl wegzulaufen und rennt selber weg, wohl wissend, daß ihm die Männer grollen werden, weil er sie um einen leichten Sieg gebracht hat.
    Als sie endlich die Schluchten erreichen, an denen sich die Jagunços aufgestellt haben, wird Pajeú klar, daß sich seine Kampfgefährten in einer schwierigen Lage befinden. Der alte Macambira, den er nach einer Weile entdeckt, erklärt ihm, daß die Soldaten die Höhe bombardieren und Erdrutsche verursachen und daß jedes Korps, das durchzieht, frische Kompanien ausschickt. »Wir haben eine Menge Leute verloren«, sagt der Alte, während er energisch sein Gewehr ausklopft und sorgfältig mit Pulver aus dem Pulverhorn lädt. »Mindestens zwanzig«, knurrt er. »Ich weiß nicht, ob wir dem nächsten Angriff standhalten. Was tun wir?«
    Von seinem Standort aus sieht Pajeú die Hügelgruppe der Favela und vorn, ganz nahe, den Monte Mario. Die grauen, ockerfarbenen Kuppen sind blau und rot und grün gesprenkelt und bewegen sich wie unter einem Ansturm von Larven. »Seit drei oder vier Stunden steigen sie auf«, sagt der alte Macambira. »Sogar die Kanonen haben sie hinaufgeschafft. Auch die Metzlerin.«
    »Dann haben wir getan, was wir tun sollten«, sagt Pajeú. »Also gehen wir jetzt alle Riacho verstärken.«
    Als die Sardelinhas sie fragten, ob sie mitgehen wolle, für die Männer zu kochen, die in Trabubú und Cocorobó die Soldaten erwarteten, sagte Jurema ja. Sie sagte es automatisch, wie sie alles sagte und tat. Der Zwerg warf es ihr vor, und der Kurzsichtige gab diesen Laut zwischen Gurgeln und Stöhnen von sich, den er ausstieß, sooft ihn etwas erschreckte. Sie waren schon über zwei Monate in Canudos und trennten sich nie. Sie glaubte, der Zwerg und der Kurzsichtige würden in der Stadt bleiben, aber als der Zug mit den Maultieren, zwanzigLastträgern und einem halben Dutzend Frauen aufbrach, standen beide neben ihr. Sie schlugen den Weg nach Jeremoabo ein. Niemand nahm Anstoß an der Anwesenheit dieser zwei Eindringlinge, die weder Waffen noch Picken, noch Schaufeln trugen, um Schützengräben auszuheben. Als sie an den Pferchen vorbeikamen, die neu aufgebaut und wieder voll mit Ziegen und Schafen waren, stimmten alle die Hymne an, die, wie sie sagten, der Beatinho komponiert hatte. Jurema ging schweigend, fühlte durch die Sandalen hindurch die Steine auf dem Weg. Der Zwerg sang mit den übrigen. Der Kurzsichtige, ganz konzentriert auf die schwierige Operation zu sehen, worauf er trat, hielt mit einer Hand das Nickelgestell, in das er Teile der zerscherbten Brillengläser gesteckt hatte, ans rechte Auge. Dieser Mann mit dem schlottrigen Gang, der aussah, als hätte er mehr Knochen als andere, der diesen Apparat mit den Glasscherben trug und sein Gesicht so nahe an Dinge und Personen heranschob, als ob er sie berühren wollte, ließ Jurema bisweilen ihren Unstern vergessen. In diesen Wochen, in denen sie für ihn Auge, Stab und Trost gewesen war, hatte sie manchmal gedacht, er sei wie ihr Kind. Von diesem großen Tolpatsch zu denken: er ist mein Kind, war ihr heimliches Spiel, ein Gedanke, bei dem sie lachen mußte. Gott hatte sie Menschen begegnen lassen, seltsamer als sie sich Menschen je hätte denken können, wie Galileo Gall, die

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